Morgen früh, wenn Gott will
dem gezogen wird und das sich so spannt, als würde es gleich reißen wollen. Gleichzeitig versuchte ich, mich vor den Bildern, welche die Krankenhausgerüche in mir hervorriefen, in Sicherheit zu bringen. Die Erinnerungen an meinen Vater waren es, die mich diese Ausweichbewegungen machen ließen. Als wir, Deb und ich, die Intensivstation erreicht hatten, tänzelte ich auf den Absätzen hin und her wie ein Preisboxer vor einem Kampf.
Ich konnte mir Mickey absolut nicht verletzt oder auch nur verletzbar vorstellen. Es passte einfach nicht zu ihm. Deb lächelte mich vor der verschlossenen Tür ermunternd an, doch ich hatte Angst, hineinzugehen. Es war keine rationale Angst, wie man sie vielleicht erwartet hätte. Es ging nicht um das Ausmaß von Mickeys Verletzungen oder seiner Schmerzen. Es war vielmehr die Angst, ihn bewegungs- und schutzlos zu sehen. Unfähig, etwas zu tun. Mickey war nie unfähig, etwas zu tun. Er schritt durch das Leben, als ob er Bewegung und Entscheidungsfreude für sich gepachtet hätte. Zumindest das hatte ich in der kurzen Zeit, in der wir zusammen waren, gelernt. Genau das war es, was mich so umwarf, was mich vom ersten Moment, in dem wir uns trafen, so erstaunte.
Schließlich öffnete eine Krankenschwester die Tür, und Deb erklärte, wer wir waren. Die Schwester sah müde aus, doch in ihren tief liegenden Augen stand das Mitgefühl, als sie uns hineinließ. In dem schwachen Licht hinter der Tür herrschte eine tödliche Stille. Alles war tödlich dort.
»Ich fürchte, er hat das Bewusstsein immer noch nicht wiedererlangt, doch seine Vitalfunktionen sind gut«, meinte die Krankenschwester. Dann: »Kommen Sie.« Sanft legte sie die Hand auf meinen Arm. Sie war der erste Mensch, dessen Berührung mir heute nicht unangenehm war. Vor einem kleinen Zimmer stand noch ein Polizist. Er nickte ernsthaft, als wir an ihm vorübergingen, was mich wieder nervöser machte. In der absoluten Stille quietschten die Schuhe der Krankenschwester.
Schließlich sah ich durch die Tür meinen Ehemann, meinen eleganten Ehemann. Er sah aus, als schliefe er. Nur dass alle möglichen Schläuche an ihm hingen.
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, sagte die Krankenschwester, die meinen Blick auf die Maschine bemerkt hatte, die für ihn zu atmen schien. Dann stand ich am Fußende des Bettes und starrte ihn an. Das dunkle Haar hatte man ihm aus der Stirn gestrichen. Mickey war so bleich wie der Mond. Ein Auge war ganz blau und so angeschwollen, dass er es nicht öffnen konnte. Auf der anderen Wange war ein langer Riss liebevoll genäht worden. Es sah aus wie ein Häkchen. Die Werbemanager von Nike wären begeistert, dachte ich unvermittelt. Bis zur Taille war er nackt wie Jesus, seine mit blauen Flecken übersäten Arme von sich gestreckt, soweit es das schmale Bett erlaubte. Auch seine Brust war voller Quetschungen und Blutergüsse. Wenn man von den Maschinen mal absah, sah er aus wie ein altes Ölgemälde, das er wahrscheinlich verabscheuen, ich jedoch mit ziemlicher Sicherheit lieben würde. Ich hielt ein Lachen zurück, das vollkommen hysterisch gewirkt hätte.
»Möglicherweise kann er Sie hören, Mrs Finnegan«, sagte die Krankenschwester und schob mich sanft vorwärts. »Sie sollten mit ihm reden. Sagen Sie ihm, dass Sie hier sind.« Ich sah sie mit offenem Mund an. Ich sollte hier vor all diesen Fremden mit meinem bewusstlosen Ehemann reden? Doch Deb murmelte etwas von einer Minute für mich allein, und die Krankenschwester meinte, sie müsse ohnehin mit Mickeys Arzt reden. Dann quietschten sie in trauter Zweisamkeit über das glänzende Linoleum davon. Ich versuchte, etwas von ihrer geflüsterten Unterhaltung aufzuschnappen und wünschte, ich müsse nicht hier sein, sondern würde zu jenen gehören, die draußen wisperten.
Allein fühlte ich mich schrecklich, so als würde mich jemand beobachten. War Mickey das etwa? Schließlich zwang ich mich näher ans Bett heran. Behutsam legte ich meine Hand auf Mickeys Bein im Pyjama. Sehr vorsichtig, als würde es beim geringsten Druck brechen.
»Du würdest einen Anfall kriegen, wenn du sehen könntest, wo du da reingeraten bist«, sagte ich. Aus irgendeinem Grund hörte sich das lustig an. Ich fing zu lachen an, doch das Lachen wich bald einem Keuchen, und so trat ich näher und sagte zu seinem abgeschalteten Gesicht:
»Mickey, wo ist Louis? Du musst aufwachen. Louis ist weg. Was hast du mit ihm gemacht, Mickey?« Ich hörte, wie meine Stimme schrill wurde. Eine
Weitere Kostenlose Bücher