Morgen früh, wenn Gott will
schmerzte fürchterlich. Louis war nicht da. Ich hatte mich getäuscht. Das Geräusch, das ich hörte, kam nicht von Louis. Es war das sanfte Gurren der Tauben in der Dachrinne. Ein tiefer Schmerz ergriff meinen Körper und presste mir die Luft aus den keuchenden Lungen.
Allmählich erschien Leighs Bild vor meinen Augen. Sie blickte aus dem Fenster, aus dem weit offenen Fenster. Die Vorhänge blähten sich leicht im trägen Wind. Eine Frau, die ich noch nie gesehen hatte, saß an meinem Bett. Es sah aus, als würden die beiden warten. Ich sah weg und hörte dem Sommerregen zu, der einen Geruch nach Staub und Geißblatt hereintrug. Das Geißblatt, das seine spindligen Triebe immer wieder flehentlich bittend über die Fensterbank schob. Ich genoss die letzten Sekunden des Nichtwissens.
Nur einmal in meinem Leben war ich fast in Ohnmacht gefallen. Nur ein einziges Mal. Und das war, nachdem ich Louis bekommen hatte. Wir verließen die Klinik, und ich klammerte mich an das Kind, von dem es hieß , es sei meines, und um das ich mich nun kümmern sollte. Ich hielt ihn wie ein Stück kostbaren Porzellans und hatte Angst, ihn fallen zu lassen. Gott, Mickey sah so stolz aus, als er uns aus dem Krankenhaus geleitete wie ein Schäfer seine Herde. Ich hingegen, ich war einfach nur verblüfft. Und verstört von der dramatischen Wendung, die mein Leben im Kreißsaal genommen hatte. Mein Baby war vier Wochen zu früh gekommen, glücklicherweise war es trotzdem gesund. Nun war endlich auch ich des schrecklichen Geheimnisses teilhaftig geworden, in das alle Mütter eingeweiht sind. Die verschworene Gemeinschaft der Mütter, um die ich neugierig herumgeschlichen war, als mein Bauch immer dicker wurde. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, dass jemand mich ins Mutterdasein eingeführt und mir Mut zugesprochen hätte. (Leigh war in dieser Hinsicht ungeeignet. Sie hatte eine eher technische Einstellung zu dieser ganzen Sache. Sie hatte schon mit Kaiserschnitt entbunden, noch bevor dies eine Modeerscheinung geworden war. Und meine Mutter – war eben meine Mutter. Und völlig unbrauchbar.)
Als wir den Wagen erreichten, schwankte ich ein wenig, meine Beine ließen mich unerwarteterweise im Stich, staksig wie die eines Fohlens. Mickey bewies eine Art sechsten Sinn, als wüsste er, dass ich gleich stürzen würde. Ich stolperte, und er fing mich auf, legte seine Arme um seinen Sohn und mich, bevor wir zu Boden fallen konnten. Still standen wir einen Augenblick lang da, diese neue Dreiheit, und Mickey hielt uns sanft umfangen. Ich war verwirrt. Dann nahm er mir das Baby aus dem Arm und brachte mich zurück. Dieses Mal hielt er Louis und presste ihn eng an seine Brust.
Geburtsschock, meinten die Hebammen. Kein Grund zur Sorge. Der Blutverlust, die traumatische Geburt. Ein Trauma, das mir, wie ich fand, ein für alle Mal reichte.
Davor aber, vor diesem Tag, hatte ich noch nie das Bewusstsein verloren. Ich fand immer, das sei eine ziemlich glamouröse Sache – und nicht einmal meine beste Freundin hätte mich als »glamourös« bezeichnet. Ich war vielleicht ein wenig klein geraten, aber doch ziemlich hart im Nehmen. Zarte, schwächliche Frauen mit durchscheinender Haut wie die Tuberkulosekranken früherer Jahrhunderte, Sie kennen ja den Typ – solche Frauen fielen in Ohnmacht. Ich nicht. Dabei wäre ich manchmal gerne schwächlich gewesen. Aber ich war nun mal der Typ, der sich eine Tasse Tee aufbrüht und dann weitermacht, wissen Sie. Nur dass mir jetzt die ganze Härte nicht helfen würde. Aller Tee der Welt würde diese Wunde nicht heilen können.
Ich würde die Gewissheit nicht verkraften, doch jetzt hatte ich keine Wahl mehr. Aufrecht wie ein Stock saß ich da und stieß meine Frage hervor, obwohl ich Angst vor der Antwort hatte: »Wo ist Louis? Sagt mir, wo er ist. Bitte.« Die Dame von der Polizei kam auf mich zu, besorgt, aber mit einer ungeheuer praktischen Ausstrahlung, genau das, was man ihnen beibringt, vermute ich. Sie kam näher und nahm meine Hand, doch ich schüttelte sie ab. Ich hatte genug von den Sympathien Fremder.
»Um Himmels willen, sagen Sie mir’s einfach«, bohrte ich weiter, während die Übelkeit sich in meinem Körper ausbreitete.
Ich hatte immer darüber nachgedacht, wie einfach und gleichzeitig schwierig es war, in offizieller Funktion schlechte Nachrichten zu überbringen, als Polizist, Arzt, Sie wissen schon. Die gnadenlose Garantie, dass Sie Verzweiflung säen. Die permanente Zerstörung einst
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