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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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glücklicher Leben. Einfach, weil man Schmerz zufügt, ohne – Gott bewahre! – zur Verantwortung gezogen zu werden. Weil man auf ewig dankbar sein kann, dass man nicht selbst betroffen war. Ob man innerlich verhärtet, weil man so viel Leid hinterlässt, bis man lernt, nachts wieder Schlaf zu finden?
    Das wuschelköpfige Mädchen sah nicht so aus, als sei sie an das Austeilen schlechter Nachrichten schon gewöhnt. Ich starrte auf eine winzige, blaue Ader, die sich neben ihrem Auge dahin wand. Sie begann zu sprechen, und ich studierte immer noch ihre dünne, schimmernde Haut, als ob sie all meinen Schmerz abblocken könnte.
    »Wir wissen es nicht, Mrs Finnegan. Wir wissen nicht, wo Louis sich jetzt befindet.« Wieder versuchte sie, meine Hand zu nehmen. »Man hat Ihren Mann vor einer Stunde ins St. Thomas Hospital gebracht. Ich fürchte, man hat ihn übel zugerichtet. Er ist immer noch ohne Bewusstsein. Man hat ihn untersucht, und etwas Gutes kann ich Ihnen zumindest mitteilen: Im Moment ist sein Zustand stabil.«
    Ihre zarte Berührung hinterließ ein Brandmal auf meiner Haut. Still war Leigh an meine Seite geglitten und drückte mir einen Drink in die Hand.
    »Aber man hat nur ihn gefunden.« Sie atmete tief ein. »Ich weiß, wie schwer das für Sie sein muss, Mrs Finnegan, aber Sie müssen versuchen, ruhig zu bleiben. Ich fürchte, wir müssen davon ausgehen, dass Ihr Sohn vermisst wird. Offiziell vermisst. Für den Augenblick zumindest.«
    Vermisst. Mein Sohn wurde vermisst. Louis – sein kaum spürbares Gewicht auf meinem Arm, seine knubbligen Handgelenke, wo sich die Haut in dicken Falten übereinanderschob. Sein dunkelflaumiger Kopf, sein lautes Lachen, wenn man ihn kitzelte, sein Doppelkinn, wenn er im Stuhl sitzend einschlief. Louis wurde vermisst. Mickey war schwer verletzt. Die Beamtin begann, von Suchtrupps und einem Hubschrauber zu reden. Ich sah zu, wie sich ihr Mund öffnete und schloss. Ich stellte mir vor, wie irgendwelche Laute herauskamen, nur schien ich sie einfach nicht hören zu können. Ich saß einfach nur stocksteif da. Von dem Glas abgesehen, das ich mit krampfigen Fingern umklammerte. Gelähmt vor Angst.
    Plötzlich hörte ich Leigh schreien: »Lieber Gott, Jess, was hast du nur gemacht?«
    Ungläubig richtete ich den Blick nach unten. Meine Hand war voller Blut. Das Glas war entzwei gebrochen. Noch heute Morgen hatte ich hier gelegen und Louis im Arm gehalten und mir dabei träge mehr Schlaf gewünscht. Jetzt war das Baby weg. Kein Baby weit und breit. Nur rotes, pulsierendes Blut.
    Alles ging unendlich langsam. Leigh holte mir Heftpflaster, während ich mich langsam anzog, so als hätte ich Migräne. So als würde ich in tausend Stücke zerbrechen, wenn ich mich schneller bewegte. Dann ging ich mit der Polizistin namens Deb nach unten. Ich stieg in ihren Streifenwagen und spürte dabei die Blicke der Nachbarn auf mir ruhen, was mich einen Sprung zurück auf der Zeitschiene machen ließ. Dies hier war einfach nicht die Art von Straße, in der Menschen in Polizeiautos wegfuhren, wenn Sie wissen, was ich meine. Ich saß im Fond, und Debs Kollege drehte sich zu mir um, um mich zu trösten. Ich aber ignorierte ihn, weil nichts mich jetzt noch trösten konnte, nie und nimmer, nicht, bis ich meinen Louis zurückhatte.
    Und dann klopfte Leigh ans Fenster. Sie versuchte ebenfalls, nicht zu weinen.
    »Bitte, Jessie, mach dir nicht zu viele Sorgen, Kleines«, sagte sie, doch wir beide wussten, dass ihre Worte vergeblich waren. Sie nahm meine Hand, meine verletzte, eiskalte Hand, und hielt sie etwa eine Minute lang in der ihren. Dann schniefte sie und schüttelte sich mit einer heftigen Bewegung das Haar aus dem Gesicht. Sie sagte, sie würde uns in ihrem eigenen Wagen folgen. Sie würde abschließen und mich dann im Krankenhaus treffen. Ich glaube nicht, dass ich ihr eine Antwort gab. Ich starrte nur vor mich hin, als triebe ich durch die mittlerweile dunklen Sommerstraßen dahin, den Weg zurück, den ich heute Nachmittag gekommen war, als ich noch Hoffnung hatte. Zurück ins schmutzige London fuhr ich, und während der ganzen Zeit, in der wir so dahinfuhren, wünschte ich mir, niemals anzukommen.

Kapitel 5
     
    Zupfen Sie sich mal ein Haar vom Kopf, und Sie werden merken, dass es dabei vibriert, dass es tief in Ihrem Gehirn einen Widerhall gibt. Als ich einem uniformierten Rücken durch die düsteren, neonbeleuchteten Gänge des Krankenhauses folgte, fühlte ich mich wie ein dünnes Haar, an

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