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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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Treibhäusern vorziehen und auf den Feldern reifen lassen keine Gewinne mehr brachte und alle Kollegen klagten, da kann man ja besser nach Holland fahren und sich die Arbeit mit dem Anbau sparen, hatte er nicht nur geredet, sondern es getan. Zuerst hatte er Gemüse direkt an die Endabnehmer verkauft, war mit dem kleinen Lastwagen, für den er sich verschuldet hatte, jeden Morgen nach Holland rüber und anschließend die Wochenmärkte abgefahren. Dann hatte es ärger gegeben und die Konkurrenz hatte geschimpft: Du unterbietest ja die Großmarktpreise!
    Da war ihm die Idee gekommen. Da hatte er einen weiteren LKW gekauft und nach und nach war das Großmarktgeschäft angelaufen. Später hatte er auf Blumen umgesattelt und auch damit hatte er die Zeichen der Zeit erkannt. Die beiden ältesten Treibhäuser hatte er abgerissen, die Felder eingezäunt und Weideland daraus gemacht. Inzwischen hatte er es an seinen Nachbarn verpachtet. Seeberg züchtete Pferde und hielt die Wiesen in Ordnung.
    Er wendet sich wieder dem Bildschirm zu.
    Sein Unternehmen ist gesund. Er schreibt seit Jahren schwarze Zahlen. Die drei neuen LKWs laufen über Kredite und sein Geländewagen ist geleast. Aber alles andere ist sein Eigentum.
    Auch das, was er hier tut, die Preise überprüfen und Höchstgebote festlegen, konnte Daniel inzwischen genauso gut. Es war eher ein Ritual, als eine erforderliche Arbeit, die seine Person gebraucht hätte.
    Nein, er muss sich keine Sorgen machen. Er kann die Tage mit ausgedehnten Spaziergängen mit dem Hund verbringen, den Sommer auf der Terrasse genießen, in den Urlaub fahren oder ins Gefängnis gehen.
    Er hat sich diesen Tag anders vorgestellt. Er hat geglaubt, die Schwere in seinem Herzen würde sich auflösen, aber stattdessen nimmt diese Gleichgültigkeit ihn in Besitz, eine Gleichgültigkeit, die schmerzt.
    Er schaltet den Computer aus und holt ein rotes Din-A4 Schulheft aus der linken, unteren Schublade. Auf dem Deckblatt steht auf den vorgezeichneten Linien in kindlicher Handschrift: Miriam Wessel. Auf der Linie darunter: Rechnen.
    Nur die ersten beiden Seiten sind mit in Fünferpäckchen angeordneten Malaufgaben beschrieben. Die Siebenen haben eine kleine aufstrebende Linie, bevor sie in eine geschwungene Waagerechte übergehen, die am Ende wieder aufsteigt. Es sieht aus, als habe die Zahl zwei kleine spitze Ohren.
    Mindestens hundert Mal hat er die Aufgaben schon durchgesehen. Immer und immer wieder. Sie sind alle richtig gelöst bis auf eine. Im letzten Päckchen hatte sie zwölf mal sechs gerechnet und zweiundachtzig herausbekommen. Er lächelt den Zahlen entgegen. Die Zwölferreihe hatten sie noch zwei Tage vorher geübt und sie hatte genau diesen Fehler schon an jenem Abend gemacht. Er hatte gesagt: „Prinzessin, das ist doch ein einfacher Sprung von sechzig auf zweiundsiebzig.“ Da hatte sie tief durchgeatmet und empört ausgerufen: „Ja, aber für mich ist das ganz schön schwer! Alles was über fünfzig ist finde ich unübersichtlich.“
    Er dreht das Heft auf die Rückseite und greift nach dem silbernen Montblanc-Füller, den seine Frau ihm zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt hatte.
    Er würde es in ihr Heft schreiben. Niemandem gegenüber fühlte er sich zur Rechenschaft verpflichtet, aber er würde Rechenschaft ablegen. In ihrem Rechenheft!
    Nissen, 12. August 2003
    Ich will meiner Strafe nicht entgehen. Ich will weder um Verständnis oder Mitgefühl buhlen, noch um Verzeihung bitten.Ich würde es wieder tun, immer und immer wieder. Ich bin nicht der, der die andere Wange hinhält, und ich bin auch nicht der, der sofort losgeht und seine Rechte einfordert. Ich bin ein geduldiger Mensch und lange Zeit habe ich viel Glück gehabt. Ich habe es sicher oft nicht wirklich zu schätzen gewusst, aber es hat Augenblicke gegeben, da hätte ich zerspringen können vor Glück und Dankbarkeit
.
    Er sieht zum Fenster hinaus. Es waren immer Augenblicke der Ruhe, des Stillhaltens. Es waren die Augenblicke der Vögel mit ihrer Leichtigkeit und ihren hellen Tönen. Sie waren selten und dauerten nur Sekunden, aber er erinnert sich an durchscheinendes Licht und eine Verbundenheit mit allem, was lebt. Nur ganz kurz. Dann spürte man das Gewicht des Körpers auf den Füßen und es ist vorbei.
    An einem Sommermorgen um fünf Uhr in der Frühe auf dem Feld hatte er es erlebt. In den Armen seiner Frau hatte er es erlebt, als seine Söhne geboren wurden und Jahre später, als Miriam auf die Welt kam. Mit ihr

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