Morgen ist der Tag nach gestern
ihm übel. Wieder sieht er sich und Brigitte vor Horstmanns Haus von den Fahrrädern steigen.
„Ich check das hier noch und bin in ungefähr zwei Stun-den bei ihnen.“ Dann legt sie auf.
Böhm hält den Hörer noch einen Augenblick verdutzt in der Hand. „Gut“, er nickt seinem Bildschirm zu. „Jeden-falls eine, die nicht lamentiert!“
„Führst du Selbstgespräche?“ Joop steht hinter ihm. Er hat sich rasiert und ein frisches T-Shirt angezogen.
Böhm lächelt. „Ja, in meinem Alter neigt man manchmal dazu.“
Er berichtet von seinen Gesprächen mit Liefers und Ecks.
Joop nimmt sich einen Kaffee.
„Vielleicht solltest du dich auch duschen und rasieren, Peter. Das macht den Kopf wieder klar. Ich halte hier so lange die Stellung.“
Böhm nimmt das Angebot dankend an. In der unteren Schublade seines Schreibtisches bewahrt er für durchgearbeitete Nächte Rasierzeug, Duschgel und ein frisches Hemd auf. Er hat die Schublade schon lange nicht mehr gebraucht. Das Hemd hat er Anfang des Jahres dort deponiert, es hat lange ärmel.
Als er geduscht und rasiert zurückkommt, ist Liefers bereits da. Der Alte sitzt auf Böhms Platz und Joop gibt eine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse.
Liefers sitzt völlig unbeweglich da. Auch seine Mimik verrät nicht, was in ihm vorgeht.
Liefers ist von einer außergewöhnlichen Sachlichkeit. In vier Monaten wird er in den vorzeitigen Ruhestand gehen. Seit Wochen gibt es Spekulationen über seine Nachfolge. Seit Monaten gibt es in allen Abteilungen Bedauern über seinen Ausstieg.
Liefers nickt. „Also! Zwei Tote in einem abgebrannten Haus. Einer der Toten ist Horstmann, der Hauseigentümer. Pornographische Aufnahmen von vermissten Kindern, die in diesem Keller aufgenommen worden sind. Die Bilder sind bearbeitet und verfremdet worden.“
Er sieht Böhm fragend an.
„Ich kannte Horstmann. Gehen wir mal davon aus, dass er pädophile Neigungen hatte. Gehen wir mal davon aus, er hat das wirklich getan.“
Er schüttelt den Kopf. „Möglich ist schließlich alles. Selbst das! Aber warum sollte er die Bilder verkaufen? Warum sollte er ein solches Risiko eingehen? Horstmann war mehr als wohlhabend! Der hatte es doch nicht nötig, solche Geschäfte zu machen.“
Böhm starrt auf den graumelierten Linoleumboden. „Ich weiß es nicht. Aber im Augenblick weist alles in diese Rich-tung. Vielleicht war es ein Deal? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Horstmann die Kinder selber entführt hat. Vielleicht musste er Gegenleistungen erbringen?“
Er geht hinüber zu der Fotowand, an der jetzt auch die Fahndungsfotos von Bahar Ibn Zaid aus Thüringen und Rojin Ali Joki aus Bayern hängen.
Liefers steht auf. „Warten wir ab, was die Frau vom BKA zu erzählen hat. Der Fall hat jedenfalls absolute Priorität.“
Er stellt sich neben Böhm. „Bildet eine SK. Mach eine Liste, wen du zusätzlich brauchst.“
Böhm verschränkt die Arme und wendet sich ab. „Ich brauche mindestens einen Kollegen von der Sitte. Am liebsten Benjamin Steller. Der kennt sich mit diesen Userkreisen im Internet aus. Außerdem wäre es gut, wenn wir einen Durchsuchungsbefehl für Horstmanns Düsseldorfer Wohnung bekommen könnten. Vielleicht können die Kollegen dort Amtshilfe leisten und Horstmanns Aktivitäten in Düsseldorf überprüfen. Außerdem brauche ich mindestens zwei Beamte zusätzlich. Die müssen die gesamte Nachbarschaft abklopfen. Es kann doch nicht sein, dass da keiner über die Jahre was mitbekommen hat.“
Liefers geht zur Tür. „Was ist mit Gabriele Horstmann? Habt ihr da was unternommen?“
„Steeg war gestern bei ihr, aber da kannten wir das ganze Ausmaß der Geschichte noch nicht. Wir werden sie auf jeden Fall noch einmal befragen.“
Liefers nickt. Dann mustert er Böhm genauer. „Sag mal, ist dir nicht zu warm?“
Böhm lacht. „Du weißt doch, was gut gegen Kälte ist, ist auch gut gegen Hitze!“
34
Sie ist früh dran. Auf dem roten Pflaster der Fußgängerzone zieht sich der Schatten des Kaufhauses bis zu ihrem Laden. Schon in gut einer halben Stunden wird die Sonne über das flache Dach klettern, ihn auslöschen und neue, flirrende Hitze in die Straßen gießen.
Uschi stellt ihre Krücke ans Schaufenster, stützt sich mit der einen Hand am Türgriff ab und bückt sich vorsichtig zum Schloss hinunter.
Wie oft sie ihren Vermieter schon gebeten hat die beiden Türverriegelungen, eine ganz oben in der Tür und die andere zwei Zentimeter über dem Boden,
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