Morgen ist der Tag nach gestern
Mann wird wissen, ob die Noten verge-ben oder nicht.“
Sie geht vor in den Verkaufsraum und schiebt die Mappe in ihre Handtasche.
Mein Gott, das kann sie doch Ursula unmöglich sagen. Was hat sich Frank nur dabei gedacht? Nein, sie muss das mit Frank klären. Der soll seiner Mutter die Wahrheit sagen. Das war nicht ihre Aufgabe!
Als sie zurück in den Lagerraum kommt, räumt Uschi den Tisch ab. „Ich weiß, dass du Frank wieder verteidigen wirst, Christa. Aber … der wird immer komischer. Gestern Abend hatte ich richtig Angst vor dem.“
Sie hinkt zum Spülbecken. „Der führt Selbstgespräche und wenn ich mit dem rede … der hört mir gar nicht zu. Nur wenn ich schreie hört der noch.“
Sie sieht Christa fragend an, erwartet ein Lachen oder eine neckische Bemerkung. Irgendetwas, das ihre Sorge mildert.
Christa nimmt ein Geschirrtuch und beginnt die Teller und Tassen zu trocknen. Christa schweigt. Dann endlich, sie räumt das Geschirr bereits in den Schrank, sagt sie: „Ich weiß auch nicht, Uschi. Vielleicht stimmt ja wirklich was nicht mit ihm!“
35
Links vom Marktplatz hängt über dem Schaufenster der Apotheke eine digitale Anzeigentafel in grellem Licht. In immer gleichen Abständen teilt sie den Tag ununterbro-chen in wechselnde, rote Ziffern auf. Von der Uhrzeit über das Datum zur Temperatur. Ein Rhythmus. Zahlen, die auf den Tag einhacken, wie Krähen auf einen Kadaver. 10:30! 14.08.2003! 36 Grad!
Er hatte mit Brigitte telefoniert. Sie hatte ihm ein frisches T-Shirt vorbeigebracht und gesagt, dass im Radio für den Abend Gewitter angemeldet sind. Er hatte dankbar beides entgegengenommen und war über die Nachricht fast glücklicher als über das Shirt.
Liefers hatte mit den Kollegen der Sitte gesprochen und Benjamin Steller war sofort herübergekommen.
Seit einer Stunde saß er mit Joop nebenan und sie nahmen alles auseinander, was auf dem PC aus Horstmanns Keller zu finden war.
Auch der Hausdurchsuchungsbefehl für die Wohnung war ausgestellt worden. Die Kollegen in Düsseldorf waren damit beschäftigt.
Nach dieser nächtlichen, fast blinden Suche nach den Mädchen in den Vermisstendateien hat er nun endlich das Gefühl, dass die Dinge ins Rollen kommen. Dass die Puzzleteile nicht mehr alle auf einem Haufen liegen, sondern ausgebreitet, jedes in Form und Farbe erkennbar. Noch kein Bild, sicher, aber man kann erkennen, wo sie vielleicht hingehören.
Er telefoniert gerade mit Bongartz, als es klopft.
Sabine Ecks steht in der Tür. Er ist überrascht. Sie ist deutlich jünger, als er vermutet hat. Anfang dreißig schätzt er sie, mit einer Strenge im Gesicht, die nicht zu ihrer Jugend passen will. Die braunen Haare sind kurz geschnitten und liegen wie ein Helm um ihren Kopf.
Böhm reicht ihr die Hand, bietet einen Stuhl und Kaffee an.
Über das Telefon bittet er Joop und Benjamin Steller hinüber.
Böhm schlägt vor, hinunter in den Konferenzraum zu gehen. Zum einen gibt es dort einen großen Tisch und zum zweiten, und das ist sein eigentliches Motiv, ist es dort kühler.
Sabine Ecks legt drei Hefter auf den Tisch und kommt gleich zur Sache. Wieder fällt ihm ihre feste, fast tiefe Altstimme auf, die sie am Telefon soviel älter hat wirken lassen. Ohne in die Unterlagen zu sehen, nennt sie Daten, Orte und Ergebnisse.
„Bahar Ibn Zaid verschwand am 12. Juli 1999, im Alter von elf Jahren, aus einem Freibad in einem Vorort von Gotha. Sie war lediglich mit ihrem Badeanzug bekleidet. Nach Bahar ist drei Monate intensiv gesucht worden. Ohne Ergebnis. Frau Ibn Zaid war zusammen mit ihren drei Kindern erst vier Monate zuvor nach Gotha gezogen. Sie hatte eine geschützte Adresse. Ihr geschiedener Mann hatte angekündigt, die Kinder zu sich in den Iran zu holen. Es ist überprüft worden, ob der Vater im fraglichen Zeitraum eingereist ist. Negativ! Das BKA hat im Iran eine Erkenntnisanfrage gestellt, die bis heute ohne Antwort geblieben ist.“
Sie blickt in die Runde. Sie schiebt den oberen Hefter, in den sie kein einziges Mal hineingeschaut hat, zur Seite und tippt mit dem Zeigefinger auf die Mappe darunter.
„Rojin Ali Joki verschwand am 8. August 2000 auf dem Weg zum Ballettunterricht. Sie war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt. Auch in diesem Fall lebte die Mutter mit ihrer Tochter unter geschützter Adresse. Auch in diesem Fall hatte die Mutter die Befürchtung, ihr Mann könne die Tochter mit in den Libanon nehmen. Eine Einreise des Vaters ist überprüft worden. Eine
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