Morgen ist der Tag nach gestern
„Wir müssen uns dringend mit dieser Stiftung beschäftigen!“
Sabine Ecks sieht ihn erstaunt an. „Welche Stiftung?“
Böhm berichtet kurz, was sie bisher haben. Sabine Ecks nickt. „Auffällig ist, dass die drei Mädchen alle im Sommerverschwunden sind. Jedes Jahr eine, bis auf das Jahr 2001. Haben Sie das bemerkt?“
Joop schiebt seinen Stuhl zurück und legt den rechten Fuß über das linke Knie. „Das passt doch perfekt in das Bild. Mynheer Horstmann, Stiftungsbeirat und Wohltäter, hatte ja schließlich sein Sommerhaus! Ein ungestörtes Plätzchen für besondere Hobbys!“
Wieder nickt Sabine Ecks nachdenklich. „Ich weiß nicht, warum ich es nicht eher bemerkt habe. Es war meine Unachtsamkeit!“
Ihre tiefe Altstimme hat an Volumen verloren. Der Selbstvorwurf nimmt ihr die Fülle. „Sehen Sie! Es sind immer alle Kinder entzogen worden. Aber im Falle von Bahar Ibn Zaid und Saida Demir sind die Geschwister nicht entführt worden. Rojin war ein Einzelkind, da hätte es mir nicht auffallen können, aber bei Bahar und Saida …!“
Sie fährt sich mit der Hand durchs Gesicht. „Was war 2001? Warum diese Lücke?“ Sie sieht Böhm fragend an. Mit einer Hilflosigkeit im Blick, die Böhm ihr noch vor wenigen Minuten nicht zugetraut hätte.
Er nickt ihr freundlich zu. „Ich weiß es nicht. Wir werden es herausfinden.“ Für einen Augenblick erstaunt ihn seine Zuversicht selber. Aber sie ist da. Er ist zuversichtlich!
36
Er starrt in den Spiegel. Seine blassen Augen scheinen über Nacht noch weiter eingesunken zu sein. Die Hitze, die Sorgen. Er hat seinen ganzen Biervorrat ausgetrunken und nachgedacht. Bis morgens um vier Uhr hat er nachgedacht. Sie werden nichts finden. Er ist alles genau durchgegangen. Selbst wenn sie Fotos auf dem PC finden, sie können da keine Verbindung zu ihm herstellen. Sie müssen zu dem Schluss kommen, dass Horstmann die Bilder gemacht hat.
Er lächelt sein Spiegelbild an. Dann haben sie ihn endlich. Dann werden alle das wahre Gesicht des Gustav Horst-mann kennen lernen. Das Gesicht, das bisher nur ihm bekannt ist. Das Gesicht, das Horstmann auch vor ihm verbergen wollte, das er aber trotzdem erkannt hat. Das Gesicht, das Horstmann ihm andichten wollte. Ganz so gutgläubig wie Mutter behauptet, ist er nicht. Im Gegenteil. Er ist allen weit voraus. Er hat die Dinge schon vor Wo-chen erkannt.
Er fährt sich mit der linken Hand über das Gesicht. Vorhin haben sie im Radio Gewitter angekündigt. Das wäre wunderbar. Ein Gewitter mit viel Regen. Dann müsste er heute Abend nicht wieder den Gemüsegarten wässern.
Wenn er hier alleine lebt, baut er ein Bewässerungssystem. Schläuche mit kleinen Düsen, kreuz und quer durch den Garten. Dann muss er nur noch einen Wasserhahn aufdrehen. Mit dem Garten kann er sich versorgen. Nur Milch muss er zukaufen. Milch, Brot, Reis und Nudeln. Bier trinkt er nicht mehr, wenn er hier alleine lebt. Miete müsste er auch keine zahlen. Das Haus würde ihm gehören, wenn Mutter …!
Warum muss er das ständig denken?
Sie ist schuld. Vorhin hat sie ihn wieder angebrüllt. Wegen dieser Hose. Wegen dieser Bügelfalte. Das war nur, weil sie ihn so beleidigt hat, als es das erste Mal passiert ist. Er hatte es nicht gewusst, hatte die Hose so gebügelt wie alle anderen. Sie hatte ihn einen nichtsnutzigen Affen genannt. Und das … Strafe muss sein!
Wenn sie nicht mehr da wäre, könnte er in dem kühlen Zimmer schlafen, mit den zarten Rundungen an Bett und Schrank. Es wäre auch nicht schlimm, dass er den Keller von Horstmann nicht mehr hat. Er könnte dann …! Nein! Nein! Nein! Das will er ja gar nicht. Darüber will er nicht nachdenken. Das hat er nur getan, weil Horstmann und Grefft ihn da reingezogen haben. Das wird er nicht mehr machen. Das ist ja ekelhaft. Außerdem, wie soll er jetzt noch an passende Adressen kommen?
Aber die braucht er ja nicht. Vor zwei Jahren. Das war ein Versehen gewesen. Aber es war gut gegangen. Er könnte einfach …! Nein! Aufhören! Er muss aufhören damit.
Er öffnet den Wasserhahn, formt die Hände zu einer Schale und fängt das Wasser auf. Dann wirft er sich das kühle Nass ins Gesicht.
Das mit den Fotos würde er ja nicht machen. Dann wäre das Risiko nicht so groß und … nein, nein, nein!
Wieder sieht er in den Spiegel. Mit gespreizten Fingern schiebt er sein schütteres Haar nach hinten und starrt in sein nasses Gesicht.
Der Gedanke fällt ihn aus dem Nichts an.
Was wenn die Jochen
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