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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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identifizieren?
    Er stellt das Wasser ab, lässt die Arme sinken und schließt die Augen. Langsam schüttelt er den Kopf. In Emmerich kennen die Frauen ihn nur als einen Freund von Martin. Oder? Wenn Jochen gequatscht hatte? Da kann nichts …
    Aber sie haben ihn gesehen. Er sinkt auf den Badewannenrand, beugt sich vor und legt die Ellenbogen auf den Knien ab. Und er war noch einmal hingefahren. Maja, diese alte, aufgetakelte Schlampe würde ihn liebend gerne ans Messer liefern. Aber die kann nichts wissen! Das Bild von Horstmann war in allen Zeitungen. Wenn sie was wüsste, hätte sie bestimmt längst bei der Polizei angerufen und mit ihrem knallroten Mund dumm rumgequatscht.
    Er schaut in den unteren Rand des Spiegels und äfft sie nach. „Der Horstmann, den ich kenne, der ist aber viel jünger!“
    Er atmet tief durch. Die weiß nichts.
    Er springt auf. Rasieren. Und dann eine Zeitung kaufen. Das muss er sich unbedingt angewöhnen. Er muss jeden Morgen zuerst eine Zeitung kaufen. Da wird drin stehen, ob man den Namen des zweiten Toten herausgefunden hat.
    Er fährt mit dem Rasierapparat in gleichmäßigem Auf und Ab über seine linke Wange. Wieder hält er inne. Wo war eigentlich Jochens Auto abgeblieben? Das hatte, als die Feuerwehr kam, nicht auf dem Gelände gestanden. Und auch nicht am Weg. Das wäre ihm aufgefallen. Wieso …? Wenn er zurückgekommen ist muss doch auch sein Auto da gewesen sein?
    Was, wenn der Tote nicht Jochen war? Aber warum war er dann verschwunden?
    Er legt den Rasierapparat von der rechten in die linke Hand und bearbeitet jetzt seine rechte Wange. Eigentlich wäre das noch besser. Jochen würde nicht reden. Damit würde er sich nur selber reinreißen.
    Er zieht eine frische, beige Shorts an und ein ärmelloses braunes Shirt. Er holt den Roller aus der Garage und fährt in den Nachbarort.
    Die Tageszeitung wird er nicht im Lebensmittelladen in Ness kaufen. Noch nie hat er hier eine Zeitung gekauft. Wenn er jetzt damit anfängt, würde man auf ihn aufmerksam werden.
    Der Fahrtwind streift angenehm über seine nackten Arme und Beine, kühlt Gesicht und Kopf. Hier, auf den schmalen, kurvenreichen Straßen zwischen den Dörfern kann man ohne Helm fahren.
    Er lächelt stolz. Wie klug er war. Selbst bei dieser Kleinigkeit, dem Kauf einer Zeitung, überlässt er nichts dem Zufall.

    37
    Er fährt erschrocken hoch und sieht auf die Uhr. Vier Uhr vierzig! Er hatte sich auf das Sofa gelegt, um eine kleine Pause zu machen. Jetzt hatte er drei Stunden geschlafen.
    Auch gut. Warum trieb es ihn so, die Ereignisse bis zum bitteren Ende zu dokumentieren? Warum hatte er das Gefühl, dass die Zeit drängte?
    Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Rau spürt er die Bartstoppeln in seiner Handfläche, hört das schabende Geräusch der kurzen Drahthaare auf Wangen und Kinn.
    Er geht zurück zum Schreibtisch. Die Stehlampe neben dem Stuhl ist gedimmt und wirft weiches, fast goldenes Licht auf die Arbeitsfläche. Die LKWs sind vom Hof verschwunden, die Fahrer wieder unterwegs Richtung Amsterdam. Daniel muss hier gewesen sein. Die Tastatur liegt auf der Schreibunterlage, der Drucker des PCs ist noch eingeschaltet. Er wird die Touren für die einzelnen Wagen ausgedruckt haben. Nicht mal das hat er mitbekommen.
    Er sieht nach Miriams Rechenheft. Es liegt neben der Tastatur. Vielleicht hat Daniel darin geblättert? Er starrt hinaus auf den dunklen Hof. Erstes, schwaches Licht zeichnet eine kaum wahrnehmbare, vorsichtige Linie ans Ende der Felder.
    Sie hatten nie darüber gesprochen, aber in den letzten Monaten hatte er zunehmend das Gefühl, dass Daniel und Simon alles wussten. Er konnte das nicht erklären, es war ihre Art seine häufige Abwesenheit hinzunehmen. Ihre Art, seine Tage nicht in Frage zu stellen. Wie ein stummes Nicken war es ihm vorgekommen. Ein Einverständnis, das schweigend zwischen den Gesprächen über Schule und Geschäft gelegen hatte.
    Er setzt sich an den Schreibtisch, schiebt die Tastatur beiseite und schlägt das Heft auf.
    Horstmann war kein unbeschriebenes Blatt. Er hatte im Stadtrat gesessen und ich rief einen Freund an, der ebenfalls Ratsmitglied war. Ich erfuhr, dass Horstmann jetzt in Düsseldorf lebte, ihm hier noch ein großzügiges Sommerhaus in Ness gehörte und er im Beirat der Maria-Söder-Stiftung saß
.
    Es war Anfang Mai, als ich mich für einige Tage in einem Hotel in Düsseldorf einquartierte. Ein Hotel direkt gegenüber von Horstmanns Penthousewohnung. Zunächst

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