Morgen ist ein neuer Tag
Paar neue Schuhe, einen Regenmantel und einen neuen Hut und kaufte sich von einem Teil des empfangenen Geldes einen goldenen Trauring, den er sich an einer einsamen Stelle der Weser an den Finger der rechten Hand steckte. Dann blickte er lange über die Wellen des Flusses, über die Türme und Dächer der Stadt, sah den Paddlern nach, die sich stromabwärts treiben ließen, blickte hinüber zu den Wiesen, von denen die bunten Zelte herüberleuchteten, die Wandervögel dort errichtet hatten, und sah dann wieder auf seinen Trauring, der neu und gelb in der Sonne glänzte.
»Ich komme wieder«, sagte er leise und ließ den Ring in der Sonne aufleuchten. »Und wenn ich wiederkomme, werde ich der alte Fritz Bergschulte sein. Nichts soll sich geändert haben – nur zwölf Jahre älter sind wir geworden … aber das wären wir ja auch so, wenn wir zusammengeblieben wären …« Er stockte und schüttelte den Kopf. »Wenn wir … was rede ich da bloß, Lina? Wir waren nie auseinander, was? Wir haben uns immer geliebt. Nur ich, ich war eine kurze Zeit mal in der Fremde, – aber was tut das schon? Jetzt bin ich zurück – hast du überhaupt gemerkt, daß ich weg war? Zwölf Jahre, sagst du? Aber Lina, Lina, – zwölf Tage vielleicht, oder nur zwölf Stunden … Hier, ich habe gearbeitet, da ist die Lohntüte, – was, da guckst du, sie ist heute prall voll und du kannst dir endlich den gewünschten neuen Hut kaufen … den mit der Reiherfeder, die dir dann ins Gesicht wippt … Das ist so lustig, so keck, so frech … und ich mag dich so am liebsten, so frech wie ein Lausejunge … Komm, gib mir einen Kuß … Aber schnell … sonst nehme ich dir die Lohntüte wieder weg … Ach, Lina … du kannst so schön küssen … deine Lippen sind so heiß, daß sie mich verbrennen …«
Er schrak empor. Von der Weser herüber klang das Lachen der Paddler. Gesang schallte über die Wellen. Lustige Menschen winkten ihm zu. Da zog er sein Taschentuch, winkte auch und jauchzte über den Fluß hinweg.
Das Leben ruft mich … klang es in ihm … das Leben …
Und er winkte und lachte. Der Trauring blitzte in der Sonne, und das Herz war voll Jubel.
Ich bin wie ein Vogel, der krank war, dachte er, und plötzlich wieder fliegen kann. Hoch in die Luft steige ich, höher, immer höher, der Sonne entgegen.
Sein Lachen schallte über den sonnenüberglänzten Fluß.
Zwei Tage später fuhr der Zug aus der Mindener Bahnhofshalle hinaus, Bielefeld, dem Ruhrgebiet, Dortmund entgegen. Am offenen Fenster eines Wagens dritter Klasse stand Fritz Bergschulte und winkte zurück. Paul Ermann stand auf dem Bahnsteig, hatte Bergschulte noch eine Flasche Korn mit auf die Reise gegeben und ließ es sich nicht nehmen, ihm ein Abteil auszusuchen, wo er gut saß und auch die dritte Klasse, die es heute nicht mehr gibt, Polstersitze hatte.
Fauchend fuhr der Zug durch die Vorstädte, schlug einen Bogen, so daß der Blick der Fahrgäste noch einmal über Minden schweifen konnte. Die spitzen Türme der Kirchen grüßten, das Band der Weser, das silbern in der Morgensonne lag, begleitete den Zug eine lange Strecke, und die Felder, die weit und fruchtbar am Fuße des Wiehen-Gebirges lagen, leuchteten grün und saftig.
Noch immer stand Fritz Bergschulte am offenen Fenster und schaute hinaus in die Landschaft. Der Wind blies ihm ins Gesicht, gegen den starken Luftzug hielt er seine Augen zusammengekniffen. Da liegt meine nächste Heimat, dachte er, und zum zweitenmal verlasse ich sie, kaum, daß ich sie wiedergesehen habe. Was wird in Dortmund sein? Eine Stellung, ein Zimmer, reichlich unpersönlich wie alle möblierten Räume, viele Briefe zwischen Dr. Schrader und mir, ab und zu ein Kinobesuch oder ein Schoppen in irgendeiner Wirtschaft, am Sonntag auf dem Fußballplatz – ein Sauleben, trostlos und fade. Aber es sollte ja nur der Anfang sein. Erst mußte der Boden unter den Füßen her. Jede Rodung ist mühsam und schwer, am schwersten das Urbarmachen des Bodens für das eigene Schicksal.
Etwas wie Furcht vor der Fremde überkam ihn. Er schloß das Fenster und ließ sich auf seinen Sitz fallen. Nervös blätterte er in der Morgenzeitung, die er sich in der Mindener Bahnhofshalle gekauft hatte. Aber er las sie nicht wirklich – er war mit seinen Gedanken bei Lina und Peter. Ob ich ihnen schreiben soll, fragte er sich. Oder ob ich gar nichts von mir hören lasse, bis der Prozeß läuft und sich alles nach dem Gesetz klären muß? Oder ist es besser, ihr zu
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