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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stunde lang ihrem Sohn zu, denn der hatte viel zu erzählen, auch von einem fremden Mann, der ihn auf der Straße angehalten und ihm eine Tafel Schokolade geschenkt hatte, die er aber nicht gegessen, sondern aus Scheu, sie könnte vergiftet sein, weggeworfen hatte. »Er sah so zerlumpt aus, der Mann«, meinte er. Nachdem Lina daraufhin ein bißchen geweint hatte und Peter nicht wußte und von ihr auch nicht erfuhr, warum, ging sie hinüber in das Herrenzimmer. Heinrich Korngold saß hinter seinem großen Renaissancetisch, starrte ins Leere und rauchte nervös eine Zigarre. Seine Finger spielten mit einem Brieföffner, der – spitz wie ein Stilett – ihn ab und zu in die Hand stach. Er zuckte dann jeweils zusammen, aber er gab das schmerzhafte Spiel nicht auf, sondern sog nur noch heftiger an seiner Zigarre.
    Als Lina eintrat, sah er ihr kurz entgegen und senkte dann den Blick. Sie blieb an der Tür stehen, scheu, zurückhaltend, als könne ein Schritt weiter ein Zuviel sein, und kreuzte die Arme über der straffen Brust. Ihr bleiches Gesicht zwischen den blonden Locken wirkte noch fahler, eingefallener, als das im Krankenhaus der Fall gewesen war. Ihre Lippen waren farblos und schmal. Ein bitterer Zug, eine Resignation lag in den Mundwinkeln.
    Stumm stand sie mit dem Rücken zur Tür und wartete darauf, daß er sie ansprach. Heinrich Korngold legte den Brieföffner hin und besah sich seine Zigarre, indem er sie hin und her drehte.
    »Du bist gekommen, um zu gehen?« fragte er sie.
    »Nein.« Ihre Stimme war blechern, sie schepperte wie altes Metall. Man merkte die große Erregung, die ihr Inneres in Aufruhr versetzte. »Nein, Heinrich, – ich bin gekommen, um Rechenschaft zu fordern.«
    »Rechenschaft? Wofür?« Korngold blickte sie voll an. »Kann man über Liebe Buch führen und diese Bücher dann allein verstandesgemäß prüfen lassen?«
    Lina trat einen Schritt näher und stand nun im Raum, eine schöne, blasse Frau, deren Hände bebten.
    »Wußtest du, daß Fritz lebt?«
    Diese Frage war schwer, – sie war die Frage, von der alles abhing. Die Antwort darauf brachte die Entscheidung, ungeschminkt, klar – wie die Frage selber: Er wußte, daß Fritz lebt. Heinrich Korngold legte die Zigarre hin und stand auf. Er trat an das Fenster, kehrte Lina den Rücken und krallte die Finger in den Gittertüll der Gardine.
    »Als ich aus dem Lager entlassen wurde, ja, da wußte ich, daß er lebt. Ich habe Abschied von ihm genommen und ihm meine restlichen Sachen geschenkt. Aber dann, dann wußte ich nicht mehr, ob er noch lebt … dann, als ich dich heiratete, denn als ich ihn verließ, war er ein Gerippe, das nur noch wanken konnte und dem man keine drei Wochen mehr gab. Und wer einmal so weit ist, daß ihn die eigenen Kameraden aufgeben, der ist schon tot, auch wenn er noch Tage oder Wochen lebt. Ich habe nie geglaubt, daß er noch einen Monat überleben würde … und es war für mich sicher, daß er starb.«
    »So. Das glaubtest du?« Lina trat noch näher und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch. »Warum kannst du mich nicht dabei ansehen, Heinrich? Ist es dir jetzt, nach vier Jahren, immer noch möglich, mir so ins Gesicht zu lügen wie damals? Hat dir Fritz nicht einen Brief für mich mitgegeben?«
    »Ja!« Heinrich Korngold fuhr herum. Sein Gesicht war nun auch blaß wie das ihre. Sein Atem ging stoßweise. »Ja. Ich hatte einen Brief für dich. Aber an jenem Abend, als ich bei dir in eurem Haus in der Ulmenstraße saß, als du mir einen Tee kochtest und mir die selbstgebackenen Plätzchen serviertest, als ich sah, wie schön du bist, wie begehrenswert für einen Mann, der viele Jahre in der Einsamkeit gelebt hat, als ich daran dachte, daß du auf einen Mann warten sollst, der in diesem Augenblick vielleicht schon in der russischen Erde liegt oder irgendwo auf einer Pritsche, kraftlos, erledigt, bereit, zu sterben – da habe ich in einer Minute, die du in der Küche warst, den Brief im Wohnzimmerofen verbrannt und alle Brücken hinter mir abgebrochen.« Er fuhr sich durch die Haare und seufzte tief. »Ich habe an diesem Augenblick, in dem der Brief meines besten Freundes in den Flammen zerfiel, die ganzen Jahre bis heute zu tragen gehabt. Ich habe des Nachts, wenn ich glücklich an deiner Seite lag und auf deinen leisen Atem lauschte, wenn ich so richtig glücklich war und mir kein schöneres Leben als das mit dir vorstellen konnte, anschließend immer wieder von diesem Brief geträumt. Ich sah

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