Morgen ist ein neuer Tag
halten Sie davon?«
»Herr Präsident«, sagte Dr. Schrader zögernd, als wolle er sich gegen Kämmerers Idee sträuben, »ich kann Ihnen keinen mit Schimpf und Schande bedeckten Angestellten zumuten. Deshalb sagte ich auch gleich zu Anfang, daß ich es verstehe, wenn Sie keinen Wert mehr auf mich legen …«
»Reden Sie kein Blech!« fiel ihm Dr. Kämmerer, der nun selbst ganz begeistert von seiner Idee war, ins Wort. »Wir machen das so. Wär ja gelacht, wenn diesem Kerl nicht beizukommen wäre.«
Und nach einer kurzen Pause, in der er vor sich hinstarrte, fügte er hinzu: »Sie dürfen nicht vergessen, Herr Rechtsanwalt, daß zwei Söhne von mir in russischer Erde liegen. Ich bin sicher, daß beide genau diese Handlungsweise von mir erwarten würden.«
Daran gab's keinen Zweifel.
»Es ist ja nicht gesagt, daß es zum Schlimmsten kommt«, meinte Dr. Schrader noch einmal, ehe sich die beiden trennten.
Zu Hause angekommen, diktierte Schrader einen kurzen Brief an Heinrich Korngold:
»Sehr geehrter Herr Korngold, leider sehe ich mich nicht in der Lage, Sie anwaltschaftlich zu vertreten. Ich habe aber, wie versprochen, heute schon mit einem tüchtigen Kollegen, Herrn Dr. Erwin Penzolt, gesprochen und ihn gebeten, Ihre Interessen wahrzunehmen. Er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Hochachtungsvoll Dr. Schrader.«
Am schwersten vom ganzen Brief fiel ihm das ›Hochachtungsvoll‹.
Zwei Tage später.
Fritz Bergschulte hatte wieder einen schweren Arbeitstag hinter sich und ging von der Baustelle nach Hause. In einer abgeschabten Aktentasche, die er einem Kollegen für wenig Geld abgekauft hatte, verwahrte er seinen Henkelmann, seine Tabakspfeife und die flache Blechdose mit dem Krüllschnitt. Da der Abend sehr warm und schwül war, hatte er den alten Hut etwas in den Nacken geschoben und überlegte beim Gehen, was er heute abend tun sollte. Ins Kino? Keine Lust, stellte er fest. Lesen? Zu müde. Ein Bierchen trinken? Schon eher. Damit war eigentlich alles erschöpft, was man am Abend tun konnte, es sei denn, man griff tiefer in die Tasche und leistete sich ein Varieté oder gar einen Theaterbesuch. Aber auch dazu war er zu abgespannt, so daß ein kühles Pils mit einem Körnchen vorneweg noch das Verlockendste war.
Leise vor sich hinpfeifend bog er in eine Seitenstraße ein, als ihn mit wütendem Gekläff ein kleiner, frecher Foxterrier ansprang und versuchte, ihm die Hose zu zerreißen. Woher der Hund kam, war zunächst nicht festzustellen. Er fegte plötzlich um die Ecke und fiel über Fritz Bergschulte her.
»Na, na«, sagte Fritz und bückte sich, stellte seine Tasche auf die Straße und versuchte, den wütend bellenden, immer wieder herankommenden und zurückweichenden Hund dadurch zu beruhigen, daß er ihm zeigte, keine Angst vor ihm zu haben. Nicht das hatte aber Erfolg, sondern etwas anderes. Plötzlich stutzte der Hund, verstummte, hob witternd die Nase und trabte dann näher. Ohne Scheu schaute er den Mann, den er soeben angebellt hatte, bittend an, schnupperte an der auf der Straße stehenden Tasche herum und machte auf einmal ›Männchen‹.
Laut lachend streichelte ihm Bergschulte das schwarzweiße struppige Fell.
»Gute Nase«, sagte er zu dem Hund. »Riechst du Racker, daß ich Fleisch im Henkelmann habe?« Er bückte sich, öffnete die Tasche, schob die neugierig tastende Nase des Foxterriers zur Seite und nahm ein Stückchen Gulasch, das ihm mittags zuviel geworden war, aus dem Topf. »Da, laß dir's schmecken«, sagte er zu dem Hund. »Mach aber dann, daß du nach Hause kommst, und belästige die Leute nicht länger.«
Gierig sprang der Hund an ihm empor und schnappte das Stückchen Fleisch.
In diesem Augenblick bog um die Ecke ein junges, schlankes, dunkellockiges Mädchen in einem hellen Lavabelkleid voll bunter Blumen und blieb erstaunt stehen.
»Nanu?« sagte es und schüttelte den Kopf. »Was machen Sie denn da mit meinem Flocky?«
»Sie sollten lieber fragen, was Ihr Flocky mit mir gemacht hat – oder besser gesagt – machen wollte.« Fritz Bergschulte schloß seine Aktentasche wieder und richtete sich auf. »Schönes Tier«, meinte er dabei.
»Er hat bisher nie von einem Fremden etwas angenommen.«
Das Mädchen nahm Flocky an die Leine und drohte ihm mit dem Finger: »Mach mir das nicht wieder!«
»Vielleicht bin ich ihm sympathisch?« Bergschulte nestelte an seiner Tasche herum. »So etwas soll es bei Hunden geben – Sympathie auf den ersten Blick. Momentan tat er
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