Morgen ist ein neuer Tag
zwar, als ob er mich fressen wollte.« Sie hat schöne Beine, dachte er dabei. Und die dunkelseidenen Strümpfe stehen ihr entzückend. Sie ist bestimmt erst 20 Jahre alt. Und wenn sie ein bißchen zornig tat, wie jetzt auf ihren Flocky, sieht sie ganz besonders nett aus. Doch dann bezwang er seine ausschweifenden Gedanken und sagte nüchtern:
»Sie entschuldigen, Fräulein, auf Wiedersehen.«
Er wollte seinen Weg fortsetzen und stellte fest, daß das Mädchen mit ihm die gleiche Richtung hatte. Das freute ihn. Die Gelegenheit beim Schopf packend, meinte er:
»Wir haben anscheinend denselben Weg. – Dann können wir ja noch ein bißchen zusammenbleiben. Flocky scheint nichts dagegen zu haben.«
Das Mädchen nickte und zog den Hund an der Leine an sich heran, da er die Nase nicht von der Aktentasche lassen wollte.
»Sie verstehen etwas von Hunden?« fragte sie.
»Verstehen wäre übertrieben. Ich habe Hunde gern. Überhaupt alle Tiere. Als Kind hatte ich ein Aquarium und brachte meine Mutter zur Verzweiflung, wenn ich Tüten voll Ameiseneier in der Wohnung verstreute. Später dann – ich war schon 14 Jahre und ging in die Lehre – hielt ich mir einen Feuersalamander und drei Laubfrösche. Ich hatte sie vorsichtigerweise in ein Glas gesteckt. Die Folge war: Sie hatten dauernd Krach.«
»Krach? Wieso denn?«
»Sie konnten sich übers Wetter nicht einigen.«
Das Mädchen lachte schallend. Sie kann herrlich lachen, durchzuckte es Fritz Bergschulte. Und wie ihre Zähne schimmern zwischen den geschwungenen, leicht nachgezogenen Lippen. Und das Kleid steht ihr wundervoll. Wenn der Abendwind es an ihren Körper drückt, sieht man die junge Brust durch den leichten Stoff.
Er wurde unsicher und schwieg.
Eine Weile gingen sie stumm nebeneinander her, bis das Mädchen die Unterhaltung wiederaufnahm.
»Wollte Flocky Sie beißen?« fragte es. Fritz Bergschulte fuhr etwas zusammen. Er hatte geträumt und wurde wach. Sie hat etwas gesagt. Ihre Stimme verwirrt mich. Zwölf Jahre lang hat kein Mädchen mit mir gesprochen. Ich muß mich erst wieder daran gewöhnen, daß ich es bin, mit dem auch ein Mädchen spricht.
»Beißen?« fragte er. »Ich weiß nicht. Er war jedenfalls sehr frech.«
»Er beschützt mich«, sagte das Mädchen stolz.
»Dann ist es ja doppelt wichtig, daß ich mit Flocky Freundschaft geschlossen habe«, meinte Bergschulte und lachte ein bißchen keck. Das Mädchen lachte auch und erwiderte den Blick, den ihr Fritz zuwarf.
»Sie arbeiten auch in Dortmund?« fragte Fritz Bergschulte nach einer Weile, in der sie abermals stumm nebeneinander hergegangen waren.
»Ja. Ich bin hier bei einer Brauerei Sekretärin.«
»Bei einer Brauerei?« Bergschulte seufzte. »Eine solche Stellung bräuchte ich auch. Allein wenn ich das Wort höre, kriege ich schon Durst.«
»Trinken Sie so gerne?« fragte das Mädchen.
»Aber nein, ab und zu ein Bierchen – mehr nicht. Und das auch nur in Gesellschaft, die ich suche, um nicht ständig allein zu sein.«
»Sind Sie denn allein?«
Bergschulte zögerte einen Augenblick. Bin ich allein, fragte er sich. Habe ich noch jemanden auf dieser Welt? Er schaute empor zum Nachthimmel, der nur schwach die Sterne erkennen ließ.
»Ja«, sagte er fest.
Das Mädchen blickte ihn von der Seite her an.
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Aber Sie tragen doch einen Trauring?«
Dem Mädchen schien nichts zu entgehen. Es hatte den Ring gesehen, als Fritz den Hund gestreichelt hatte.
Fritz hob die rechte Hand und sah auf den goldenen Reif. Vor wenigen Tagen noch hatte er ihn in Minden gekauft. Und jetzt?
»Das ist ein Talisman«, meinte er ausweichend. »Ich war verheiratet.«
»Und nun sind Sie allein?«
»Ja.« Er stockte. »Wieder allein. Ich habe alles verloren, was ich hatte. Ich war doch schon gestorben …«
Das Mädchen fuhr herum. Ein Wahnsinniger? Es wünschte sich spontan einen Bernhardiner zum Schutz und keinen Foxterrier. Doch dann blickte sie in Bergschultes Gesicht und hatte wieder keine Angst mehr. Diese Augen sind voll Leid, fühlte sie mit jener Sensibilität, der nur eine Frau fähig ist. Dieser Mann hat ein schweres Leben hinter sich.
»Gestorben? Was heißt das? Sie leben doch …«
»Ich lebe wieder.«
»Wieder? Das verstehe ich nicht. Wer einmal gestorben ist, kann nicht wieder leben …«
»Doch. Das gibt es. Glauben Sie mir. Heute ist alles möglich.« Bergschulte lachte bitter auf. »Wir leben nicht umsonst im Zeitalter, das keine
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