Morgen ist ein neuer Tag
möchte ich mir auch ausbitten, daß Sie mit der Dame nichts anfangen!« antwortete Ermann zweideutig. Männer können das nicht lassen. Er fuhr fort: »Bester Herten, in vierzehn Tagen werden Sie mir schreiben: Nehmen Sie mir die vier anderen Sekretärinnen ab, ich bleibe bei der fünften. Genügt Ihnen das? Ich denke, doch. Und wenn bei mir bald wieder einmal ein großes Bauvorhaben ins Haus steht –« Ermann spielte seinen letzten, stärksten Trumpf aus – »dann werde ich Sie frühzeitig benachrichtigen und Sie mit dem Bauherrn zusammenbringen. Was sagen Sie dazu?«
»Sie Levantiner!« Hans Herten lachte. »Also gut, Ermann. Setzen Sie Ihre Superkraft an die Bahn. Ich werde ihr Gelegenheit geben, sich zu bewähren. Kann sie etwas, wollen wir weiter sehen. – Sonst noch etwas?«
»Nee.«
»Dann will ich schnell Schluß machen, sonst fällt Ihnen doch noch etwas ein. Also denn – auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen. Schönen Dank auch.«
Paul Ermann legte auf und zog an seiner dicken Zigarre. Er war mit sich zufrieden. Die Zigarre zwischen den Lippen, rieb er sich die Hände, stand auf und rief in sein Vorzimmer hinaus, daß sein Wagen vorfahren solle; er müsse gleich in die Stadt.
»Das hätten wir geschafft, Paule«, sagte er zu sich selbst, als er die Treppe hinunter zu seinem Mercedes schritt. »Mehr kann ich vorläufig nicht tun. Fritz soll sehen, daß es auch noch andere gibt als diesen Korngold, das Schwein.«
Die Welt ist klein. Und sie wird winzig, wenn man einer Unabänderlichkeit entfliehen will, wenn der Mensch glaubt, er könne sich in der Weite der Erde vor dem Griff seiner Vorbestimmung schützen. Dann schrumpft der Stern, auf dem wir leben, dann sind Entfernungen zwar auf Karten zu lesen, existieren aber in Wirklichkeit nicht mehr, dann ist der Kreis unseres Wirkens kleiner geworden, als wir ahnen. Das Schicksal findet uns, und es erfaßt uns in Augenblicken, in denen wir denken, daß wir ihm endlich entflohen sind und aufatmen können.
Auch hier, im Leben Fritz Bergschultes, griff das Schicksal wieder mit beiden Händen zu. Während Friedel Herten, die Tochter Hans Hertens, mit Bergschulte am kommenden Sonntag um zwei Uhr mittags hinaus aus Dortmund ins Grüne wanderte, traf mit dem Mittagszug Lina Bergschulte in Dortmund ein und trat am Montag ihre neue Stellung bei dem Vater Friedels an.
Noch zog das Schicksal zwischen alle Personen Trennungslinien insofern, als es sie voreinander verbarg. Noch spielte es mit ihnen einzeln. Aber mit unabwendbarer Folgerichtigkeit wurde der Kreis, in dem sie sich alle versammelten, kleiner. Es trieben die Personen aufeinander zu und mußten einmal, auf dem Gipfel der Tragödie, zusammenprallen, Entscheidungen auslösend.
Die Fahrt nach Dortmund unternahm Lina wie in Trance. Kurz bevor sie das Haus verließ, brachte der Briefträger einen Brief.
Einen Brief von Fritz.
Aus Braunschweig.
Lina war viel zu aufgeregt, um dies zu bemerken. Sie drehte ihn immer wieder ungeöffnet in den Händen, zitterte, während ihr Tränen über die Wangen liefen, las mehrmals die Adresse und konnte es nicht glauben, daß es wirklich Fritzens Schrift war, die ihr vor den Augen tanzte. Da nahm ihr der nüchtern denkende Max Schmitz den Brief aus der Hand, drehte ihn herum, fand keinen Absender und entzifferte den Poststempel.
»Braunschweig«, sagte er erstaunt.
»Wieso Braunschweig?« wunderte sich Frau Schmitz und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. »Was schreibt er denn? Hat er eine Stellung? Sollst du kommen?«
Aber Lina hörte sie nicht und antwortete deshalb auch nichts. Sie steckte den Brief ungeöffnet in die Tasche und fuhr mit der Straßenbahn bis zum Bahnhof. Max Schmitz, der sie begleitete, drang nicht mehr in sie, auch wenn er vor Neugier platzte. Er verstand es, wenn Lina den Brief ihres Mannes allein und nicht im Beisein anderer lesen wollte.
Und dann saß sie im Zug, eingezwängt zwischen andere Reisende, und wagte nicht, den Brief zu öffnen, aus Angst, der Inhalt des Schreibens könne sie ohnmächtig werden lassen. Aber immer, wenn sie sich bewegte, knisterte der Brief in der Tasche und verlockte dazu, gelesen zu werden.
Vielleicht soll ich wirklich zu ihm kommen, dachte sie. Und ich fahre nach Dortmund – wie dumm, wenn ich gleich wieder umkehren muß.
Um sich abzulenken, blickte sie aus dem Fenster. Aber auch die Landschaft inspirierte sie zu keinen anderen Gedanken. Zumindest kann es leicht sein, daß ich weinen muß, wenn ich
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