Morgen ist ein neuer Tag
da, der sagt, schneller, schneller, es müssen noch 10 Bäume gefällt werden. Keiner ist da, der mir sagt, du hast heute zuwenig Blei gefördert, du kriegst dafür nichts zu essen. Das ist vorbei. Plötzlich bist du da, eine Frau, eine schöne, herrliche Frau, die mir im Arm liegt, die ich küssen kann, die mich streichelt, die sich an mich schmiegt und in deren Augen ich sehe, daß sie mich liebt …«
»Ja, Fritz, ich liebe dich.« Friedel Herten hatte bei diesen Worten ernste und lautere Augen.
»Das ist schön … so schön …«, sagte Bergschulte, zog sie in einen dunklen Hausflur und küßte sie mit einer Inbrunst und Stärke, daß Friedel sich an ihn klammerte und ihren Körper an ihn drängte. Eng umschlungen standen sie so eine Weile, bis Fritz Bergschulte sich wieder dazu zwang, sich aus ihren Armen zu lösen.
Wie Feuer jagte es durch seinen Körper. Er preßte die Lippen zusammen und warf den Kopf zurück. Du darfst dich nicht vergessen, nicht hier an diesem Ort, schrie es in ihm. Es ist zwar unmenschlich, was du dir antust, aber es bleibt dir keine andere Wahl, als dich zu beherrschen. Du hast dich in sie verliebt, ja, du kannst es dir ruhig eingestehen. Diese Augen, diese Lippen, dieser schlanke, junge Körper, alles reizt dich und röstet dich in dem Feuer deiner Sehnsucht. Wer könnte auch diese Friedel nicht lieben, wenn er sie einmal geküßt hat? Und heute, draußen in den Wäldern, als mein Kopf in ihrem Schoß lag und sie mit den Lippen über mein Gesicht tastete, bis sich unsere Lippen fanden, da drohte ich schon dem Zauber der neuen Liebe zu erliegen. Ich habe mich aufgebäumt unter ihren streichelnden Händen und ihrem warmen Körper, der sich eng an mich drängte. Ich habe beim Küssen ihre Haare zerwühlt, und was ich dabei sagte, waren Worte, die ich im gleichen Augenblick wieder vergaß, weil nicht der Verstand, sondern das Herz sie diktierte. Und dabei rauschte der Wind durch den Wald, trieb der Duft der Blüten schwer und aufreizend auf uns zu und wurde wie eine lockende Melodie, alles zu vergessen …
»Wir müssen gehen«, sagte er mit spröder Stimme. »Wenn wir jetzt nicht gehen, könnte ich dich morgen und später nicht mehr wiedersehen …«
Sie schien zu ahnen, was ihn quälte, und strich ihm über den stoppeligen Schädel.
»Und wann sehen wir uns morgen?« fragte sie.
»Um acht Uhr abends. Wollen wir ins Kino gehen?«
»Gerne, Fritz.«
Sie küßten sich noch einmal. Lange, eng aneinandergepreßt, mit der ganzen Leidenschaft einer jungen, eben erst erblühten und noch nicht erkalteten Liebe.
Dann traten sie auf die Straße hinaus, Fritz Bergschulte brachte sie zur Elektrischen, winkte ihr nach, bis er sie nicht mehr erkennen konnte, und stieg dann in seine Bahn, die ihn zum Hafen brachte.
Als er sein Zimmer betrat, sah er auf dem Tisch einen Brief liegen.
Verwundert schaute er auf den Absender.
Paul Ermann.
Seine Züge lösten und erhellten sich. Freudig nahm er ein Messer, das neben dem elektrischen Kocher lag, und schlitzte das Kuvert auf.
Der Brief war mehr eine Mitteilung, doch sie genügte, um Fritz Bergschulte die Fassung verlieren zu lassen.
»Mein lieber Fritz! Denke bloß nicht, ich werde dir jetzt alle 2-3 Tage einen langen Brief schreiben und dich in der Fremde trösten. Heute möchte ich dir nur mitteilen, daß ich deiner Frau Lina bei einem Bekannten eine Stellung als Sekretärin besorgt habe. Damit habt ihr beiden nun Boden unter den Füßen und könnt wieder von vorn anfangen. Dazu viel Glück – wie ich dich kenne, hast du in 2 Jahren viele andere überflügelt. Dein Freund Paul.«
Lina!
Ein eisiger Schreck durchfuhr Bergschulte.
An Lina hatte er gar nicht mehr gedacht.
War denn so etwas möglich?
Er küßte ein Mädchen, er verzehrte sich nach ihrer Liebe, er ging wie im Taumel herum, er machte Pläne, ja, er schmeckte noch ihre Lippen, wenn er mit der Zunge über die seinen fuhr. Und dort, in Minden, wartete Lina auf ihn und nahm jetzt eine Stellung an, um ein neues Leben mit ihm aufzubauen.
Ein neues Leben?
Lebte er nicht bereits ein neues, ein völlig anderes Leben?
Er hatte einen Beruf, er hatte einen guten Lohn, er hatte ein süßes Mädchen, das er liebte. Was wollte er noch mehr?
Warum jetzt noch ein anderes neues Leben, das nur eine Fortsetzung des alten sein sollte? Des alten Lebens, das man ihm weggenommen hatte, indem man ihn für tot erklärt hatte. Was konnte es ihm noch bieten? Aber hier, dieses neue Leben, das hielt noch
Weitere Kostenlose Bücher