Morgen komm ich später rein
in der Stressempfindlichkeit: Je autonomer die Befragten handeln konnten, je mehr Kontrolle sie über ihr Leben,
ihre Entscheidungen und ihre Arbeit hatten, desto geringer war ihre Stressanfälligkeit.
Das Ergebnis wurde durch übereinstimmende Studien aus den USA, Schweden und England bestätigt: Nicht Selbstständige oder leitende
Angestellte stehen an der Spitze der Belastungsskala, sondern Angestellte der unteren Hierarchiestufen. Ihr Arbeitstag ist
zwar vielleicht kürzer als der ihrer Vorgesetzten, aber Aufgaben, Termine, Arbeitseinteilung und Arbeitstempo sind ihnen vorgeschrieben
– Freiheit und Flexibilität kommen in ihrem Berufsleben kaum vor. Je geringer aber die Kontrolle über das eigene Handeln und
je |44| kleiner der Entscheidungsspielraum, desto größer der Stress und desto gravierender seine gesundheitlichen Folgen. »In den
vergangenen Jahren spielte das bei 30 bis 40 Prozent meiner Patienten eine Rolle«, erzählt Heike Orth, Psychologin aus der
Nähe von Neckargemünd, der
ZEIT
. Sie hat sich auf das Thema Burn-out spezialisiert und ist damit so erfolgreich, dass sie kürzlich eine zweite Praxis im
benachbarten Mannheim aufgemacht hat: »In den Großkonzernen ist der Druck besonders hoch«, sagt sie: »Die Angst ist groß,
allein einmal zu sagen: Ich bin jetzt zwei Wochen im Urlaub, oder Ich schaffe die Überstunden nicht.« Laut Krankenkassen melden
sich Mitarbeiter seltener krank, dafür mehren sich die psychischen Probleme.
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Burn-out und Entschleunigung
Für viele liegt das Problem in der schieren Zeitnot. Weil wir so viele Stunden im Büro verbringen, wird alles Übrige – Einkaufen,
Hausarbeit, Freunde und Familie – zum rasant abgewickelten Rahmenprogramm. Unser Alltag ist bis in die letzte Sekunde durchgeplant.
Geht dabei etwas schief, gerät gleich alles aus der Bahn. Wir werden immer hektischer und unduldsamer: In der Schlange stehen
macht uns rasend, eine besetzte Telefonleitung, ein langsamer Computer oder ein trödelnder Passant lassen uns vor Wut kochen.
Derweil merken wir nicht, dass wir selbst unter diesem ständigen Geschwindigkeitswahn leiden: Menschen schlafen heute im Durchschnitt
eine Stunde weniger als vor hundert Jahren; der Umsatz an Beruhigungsmitteln und Antidepressiva steigt jährlich um 10 Prozent.
»Die körperlichen Belastungen stagnieren, die psychischen Belastungen nehmen dramatisch zu«, sagt der Hamburger Arbeitswissenschaftler
Alfred Oppolzer dem
stern
. Klagten 1990 noch 48 Prozent aller Berufstätigen über Zeitmanagement, sind es heute schon 58 Prozent. Jeder Dritte fühlt
sich sogar in seinem Privatleben unter Zeitdruck.
Ein paar Jahre lang sah es so aus, als würde alles entspannter: Das Yuppie-Ideal des dauergestressten Managers hatte nach
dem Zusammenbruch |45| der New Economy eine kurze Zeit lang ausgedient. »Entschleunigung« lautete das Schlagwort des neuen Jahrtausends, Yoga-Kurse
wurden belegt und Sabbaticals gebucht – nicht selten, weil der gut bezahlte Job zusammen mit den Aktienoptionen sowieso futsch
war. Nun galt eher die Karikatur des Schriftstellers Martin Suter, eines ehemaligen Werbers. Er beschreibt den Cheftyp des
»heimlichen Stressers«, der zu seinem Terminkalender greift »wie ein Trinker zum Flachmann«. Clevere Führungskräfte entdeckten
jene »drei K« für sich, mit denen der
Spiegel
süffisant das amerikanische Schlagwort der Quality Time erklärt: »Kinder, Küche, Kirche«.
Unternehmensberater wie der Heidelberger Lothar Seiwert entdeckten die Langsamkeit. Der Experte für Zeitmanagement arbeitet
für Firmen wie IBM, SAP oder Daimler und sagt: »Wir müssen wieder lernen, dass Zeit nicht Geld, sondern Lebensqualität ist.«
Im eigenen Unternehmen hatte er dazu eine praktische Idee – Seiwerts Mitarbeiter haben freitags frei. Nicht ganz uneigennützig,
denn an diesem Tag bleibt auch der Chef schön lange im Bett liegen. Klingt alles sehr gemütlich, aber in Zeiten von Wirtschaftskrisen,
Globalisierungsdruck und Debatten um Managergehälter auch ein wenig unzeitgemäß. Angesagter unter Leistungsträgern ist heute
zunehmend, sich wieder am anderen Ende des Stressspektrums zu positionieren.
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Wissensarbeiter als Extremjobber
Überlegen Sie mal, wie viele Gäste Ihrer letzten Geburtstagsparty Arbeitskollegen waren. Könnte es sein, dass Sie dabei sind,
ein pseudosoziales Netz aus beruflichen Kontakten mit dem Leben
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