Morgen komm ich später rein
Bett gequält, geduscht und vernünftig
angezogen, einen Blick in die Zeitung oder auf das iPhone geworfen und dabei schnell im Stehen gefrühstückt, folgt die erste
harte Aufgabe des Arbeitstages: Verlassen Sie das Haus, kommen Sie irgendwie ins Büro! Egal ob mit dem Auto im morgendlichen
Berufsverkehrsstau, durch den Regen zur Bus- oder U-Bahnhaltestelle und dann zusammengepfercht in einem Abteil mit hustenden
Fremden – die meisten von uns können sich angenehmere und produktivere Arten vorstellen, die erste Stunde des Tages zu verbringen.
Kommen wir schließlich erschöpft bei der Arbeit an, wäre es nach |37| dieser Tortur eigentlich Zeit für die erste Pause. Kurz: Das Pendeln ist keine große Freude und ziemlich unvernünftig ist
es auch noch.
Der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer braucht zwischen 10 und 30 Minuten zur Arbeit und legt dabei eine Strecke von
20 Kilometern zurück. Mehr als die Hälfte benutzt den eigenen PKW. Auch wenn Sie kein dogmatischer Klimaschützer sind, dürfte
Ihnen die Zahl von 1,7 Tonnen CO2 missfallen, die jeder Pendler dabei jährlich produziert. Zwei Österreichische Studien zeigen,
dass zehn Millionen so genannte »Flexi-Worker«, die pro Woche ein bis zwei Tage von zu Hause aus arbeiten, elf Millionen Tonnen
CO2 pro Jahr weniger verbrauchen würden. Bereits durch einen Tag Teleworking pro Woche, so der Verkehrsclub Österreich, würde
ein einzelner Pendler bei einem Arbeitsweg von 20 Kilometern 295 Kilogramm CO2 im Jahr einsparen. Zum Vergleich: Dafür können
Sie zu Hause 1 000 Tage lang neun Stunden pro Tag das Licht anlassen.
Der tägliche Weg zur Arbeit verschmutzt aber nicht nur die Umwelt, sondern macht auch unglücklich. Daniel Kahnemann, Nobelpreisträger
für Wirtschaftswissenschaften, wollte 2004 herausfinden, wie sich die Stimmung von Menschen im Lauf eines Tages verändert.
Er befragte 909 berufstätige amerikanische Frauen, bat sie ihren Tag in Abschnitte einzuteilen, einzuschätzen, wie sie sich
in jeder Situation fühlten und dafür eine Punktzahl von 0 bis 10 zu vergeben. Am unangenehmsten erschien den Befragten die
tägliche Fahrt zum Arbeitsplatz und zurück. Das Pendeln wurde mit nur 2,6 Punkten bewertet, nahm aber im Schnitt 1,6 Stunden
in Anspruch. Die Deutschen haben auch nicht mehr Spaß an der Hetze zum Schreibtisch. Die Ökonomen Alois Stutzer und Bruno
S. Frey haben aus den umfangreichen Daten des »Sozioökonomischen Panel« errechnet, dass die Lebenszufriedenheit proportional
zur Länge des Arbeitsweges sinkt. Pendler, die eine Stunde zum Job brauchten, gaben auf einer Skala von 1 bis 10 eine um 0,31
Punkte niedrigere Lebenszufriedenheit an als jene, die nur zehn Minuten für den Weg zur Arbeit brauchten. Frey und Stutzer
sprechen deshalb von einem »Commuting Paradox«, da die Menschen immer mehr Zeit für eine Tätigkeit aufwenden, die sich negativ
auf ihr allgemeines Glücksempfinden auswirkt.
|38| Zur Arbeit zu pendeln macht krank, müde und verursacht Stress. Eine 2006 von der Arbeiterkammer (AK) Wien in Auftrag gegebene
Studie belegt das prägnant: Fünf von zehn der befragten Frauen und vier von zehn Männern empfinden das tägliche Pendeln als
Belastung. Wer mehr als 90 Minuten für die Anreise zum Arbeitsplatz braucht, klagt bereits vormittags über Zeitdruck und Übermüdung.
Bahn- und Buspendler leiden aufgrund langer Fahr- und Wartezeiten und häufigem Umsteigen an Erschöpfung. Am stärksten entnervt
waren Arbeitnehmer, die täglich mit dem Auto zur Arbeit fahren. 39 Prozent gaben an, auf dem Weg ins Büro »eher hohen Stress«
zu spüren. »Starke Belastungen können zu Bluthochdruck, Schweißausbrüchen und Konzentrationsmangel führen. Und am Abend sind
Pendler oft müde, inaktiv, verschlossen und können ihre Freizeit nicht genießen«, so das Fazit von Sylvia Leodolter, Leiterin
der AK-Verkehrsabteilung in Wien.
Als wäre all das nicht schon schlimm genug, spielt uns unser Gehirn beim Pendeln noch einen zusätzlichen Streich, denn der
Weg zur Arbeit kommt uns noch länger vor, als er womöglich sowieso ist: Je öfter man eine Strecke zurücklegt, desto länger
kommt einem diese vor. So wurden Studenten befragt, wie lang der Weg zur Uni sei. Wer schon länger studierte, schätzte die
Distanz deutlich höher ein. Vermutet wird, dass wir uns mehr Orientierungspunkte einer Strecke einprägen, wenn wir sie häufiger
zurücklegen und dass wir dadurch diese
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