Morgen komm ich später rein
allem brauchen sie Stimulation und Herausforderung.« Sowie Freiheit und Flexibilität, könnte man hinzufügen. Dass
moderne High Potentials ungern fremdbestimmt Bürozeit absitzen, weiß auch die Ikone der deutschen Managementberatung Fredmund
Malik: »Kopfarbeiter sind entweder Selbstorganisierer und Selbstmanager, oder sie sind ineffektiv.« Negroponte ergänzte in
unserem Gespräch: »Ein Gehirnchirurg oder Pizzabäcker muss natürlich dort sein, wo der Patient ist oder der Teig. Aber viele
Jobs sind heutzutage mobil, erfordern nur einen Bildschirm, der überall sein kann. Ist es nicht ironisch, dass so viele Leute
täglich ins Büro gehen, nur um auf einen Monitor zu schauen?«
Der Mann hat Recht.
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|72| Kapitel 5
Wir Freiangestellten
»Die Zukunft ist schon längst angekommen –
sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt.«
William Gibson
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Reif für die Insel
Sally Quigg kann ihr Glück noch gar nicht fassen. Raus aus London, aus dem ständigen Verkehrsstau, weg vom miesen Wetter und
den absurden Mietpreisen. Seit Anfang 2008 arbeitet Sally von Teneriffa aus, ist mit ihrem Lebensgefährten in eine kleine
Finca gezogen, geht am Strand spazieren, isst Paella, lässt sich von der Sonne die englische Herbstmelancholie wegzaubern.
Sally ist keine Aussteigerin, im Gegenteil. Die quirlige Britin arbeitet für Arup, einen der größten Baukonzerne der Welt.
Wenn Star-Architekten spektakuläre Entwürfe planen, wie zum Beispiel in Peking die olympische Arena von Herzog & de Meuron,
die Zentrale des Fernsehsenders CCTV von Rem Kohlhaas oder das neue Flughafenterminal von Norman Foster, dann lässt Arup diese
spektakulären Träumereien Wirklichkeit werden. Berechnet Statik, Material, entwickelt neue Technologien und – ganz profan
– baut. Arup ist ein internationaler Gigant mit rund 9 000 Mitarbeitern und 86 Büros in 37 Ländern. Allerdings nicht auf Teneriffa.
Genau da will Sally aber leben. Zum Glück, sagt sie, arbeitet sie für ein globales Unternehmen, das gewohnt ist, Mitarbeiter
in vielen verschiedenen Ländern und Zeitzonen zu koordinieren. Also wird Sallys Finca ab sofort einfach behandelt wie ein
kleines Außenbüro: Arup setzt ihr ein Videokonferenzsystem ins Arbeitszimmer. Mit den Kollegen in aller Welt hat sie auch
von |73| London aus nie anders kommuniziert. Ob sie künftig bei der Besprechung noch Sand zwischen den Zehen hat, sieht ja keiner.
Ab und zu wird Sally in die Zentrale oder andere Büros kommen müssen, aber weil sie das langfristig planen kann, nimmt sie
Billigflieger. Wenn sie – wie jetzt gerade in Shanghai – eine Baustelle besichtigt, fliegt sie eben statt aus London von Teneriffa.
»Ehrlich gesagt, hätte ich auch nicht gedacht, dass es so einfach ist«, gesteht sie, »aber bisher habe ich kein Problem entdeckt.«
Sally ist trotzdem nervös – vor Freude: »Teneriffa«, murmelt sie immer wieder, und dann, mit einem breiten Lächeln: »Nie wieder
U-Bahn, nie wieder Nebel.«
Den Begriff der »Wissensarbeiter«, für die flexibles Arbeiten schon heute in greifbare Nähe gerückt ist, darf man durchaus
weit fassen. Er gilt auch für Menschen wie den Berliner Ingenieur Robert Hoffmann, dessen Arbeitgeber »Proaut« hochspezialisierte
Produkte fertigt – er stellt so genannte Handlingautomaten für Elektronikfertigung her. Hoffmann kann mindestens einen Tag
pro Woche von zu Hause oder unterwegs aus arbeiten: »Nur das Ergebnis zählt. Zwischendurch gehe ich einkaufen oder mache die
Wäsche. Dank Skype und Internetflatrate bin ich immer mit dem Büro verbunden. Ich kann mich direkt ins Firmennetzwerk einwählen
und so arbeiten, als wäre ich im Büro. Das ist technisch erst seit Kurzem möglich.« Hoffmann sieht als Hauptgrund für seine
neu gewonnene Flexibilität das Internet: »Wenn man nicht per Flatrate immer online wäre, würde es nicht gehen.« Er sieht in
dieser Art zu arbeiten ein Zukunftsmodell, das ihm »ein riesiges Stück Freiheit« liefert, aber von anderen Unternehmen »definitiv
noch zu wenig« eingesetzt wird. Tatsächlich könne er »jede Tätigkeit, für die ich sonst im Büro am Rechner sitze« von überall
erledigen.
Das Management von Proaut war anfangs skeptisch, als Hoffmann und seine Kollegen vor zwei Jahren nach derart flexiblen Arbeitszeiten
gefragt haben. Der Kompromiss: »Mehr als einen Tag pro Woche sollen wir erstmal nicht außerhalb des
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