Morgen komm ich später rein
Anstellungsvertrag
und verwirklicht mittels neuer Technologien den alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten«, so schreiben Friebe und Lobo programmatisch,
»ein zeitgemäßer Lebensstil, der sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt.«
Vieles in dem sympathischen Pamphlet klingt sinnvoll: Wolle man mit guten Freunden ein Unternehmen gründen, solle man überlegen,
ob man lieber von unterschiedlichen Orten aus über das Netz zusammenarbeitet, »um sich nicht gegenseitig auf den Geist zu
gehen. Die virtuelle Firma, die zu New-Economy-Zeiten eher als theoretische Vision postuliert wurde, ist dank webbasierter
Zusammenarbeits-Tools wie Wikis und Internettelefonie via Skype heute eine reale Option.« Und weiter: »Lässt man von einer
Firma alles weg, was eine Firma unerträglich macht, dann kann eine eigene Firma eine prima Sache sein.« Friebe, Lobo und weitere
Mitstreiter wie die spätere Bachman-Preisträgerin Kathrin Passig führten genau das mit |112| ihrer so genannten Zentralen Intelligenz Agentur auch gleich vor. Dieses umtriebige Netzwerk von Freiberuflern produziert
bis heute einen fröhlichen Produktmix von Werbung und Literatur bis Journalismus oder Unternehmensberatung.
Andere Aspekte der modernen Lebenskunst klangen nicht ganz so professionell, wenn sich die Autoren damit auch als nüchterne
Beobachter einer Szene auszeichneten, die formale Notwendigkeiten gern als spießig oder angepasst ignoriert. Die »lästige
Schattenseite« der Arbeit in Projekten, so heißt es da zum Beispiel, sei die buchhalterische Dokumentation und Abwicklung:
»Viele hoffnungsvolle Projekte sind schon gescheitert, als bei der ersten Steuerprüfung festgestellt wurde, dass über Jahre
die Mehrwertsteuer nicht abgeführt wurde.« Nun ja. Auch wenn im Buch über die »Subversion des kapitalistischen Systems durch
Affirmation und perfekte Assimilation« sinniert wird, was in dem Ratschlag gipfelt, »eine Firma und das ›Geldmachen‹ als Tarnung
zu benutzen, was auch immer die eigentlichen Ziele im Hintergrund sein mögen«, klingt das oft ein wenig nach der Rechtfertigungsstrategie
vermeintlich unangepasster Kreativer, die sich den lukrativen Job für Nike trotzdem nicht entgehen lassen wollen.
Zum Glück sind Friebe und Lobo aber keineswegs so antikapitalistisch wie vermutlich viele ihrer Leser: »Nicht jeder, der sich
in ein Unternehmen begibt, kommt zwangsläufig darin um«, schreiben sie an anderer Stelle. Der Kapitalismus sei eben keine
»verkrustete Festung des Bösen, sondern ein extrem aufgeschlossenes, lern- und wandlungsfähiges System. Vielleicht müssen
wir an dieser Stelle unser Pauschalurteil über den ›unflexiblen Menschen‹ in unternehmerischen Großstrukturen ein wenig revidieren
– oder zumindest präzisieren.« Es sei ja naiv zu behaupten, dass sich in den letzten dreißig Jahren nichts in den Verwaltungs-
und Vorstandsetagen geändert hätte. Gerade in der New Economy seien auch Firmen und Konzerne entstanden, »die ihre Wurzeln
lupenrein in der digitalen Bohème haben« – als Beispiele werden Google oder der Internet-Kleinanzeigenanbieter Craigslist
genannt. Dennoch, so das bescheidene Zwischenfazit der ansonsten durchaus selbstbewussten |113| Autoren: »Machen wir uns keine Illusionen über die maximale Reichweite der digitalen Bohème. Es könnten vielleicht ein paar
Leute mehr nach ihren Regeln leben und arbeiten, als sich derzeit trauen, aber nicht alle. Wie die alte Bohème nicht ohne
das Bürgertum und seine Mäzene denkbar war, so braucht auch die digitale Bohème ein prosperierendes wirtschaftliches Hinterland,
sonst kann sie einpacken.« Um die Zahl der Mitglieder des beschriebenen Phänomens für Deutschland zu quantifizieren, nennen
die beiden als Annäherung 300 000 selbstständige Kulturschaffende oder 145 000 in der Künstlersozialkasse gemeldete Freiberufler
aus Kunst und Medien.
Eindeutig kein Massenphänomen also, aber doch eines, das Wirkungsmacht entfaltete. Die Presse nahm sich des Themas der freigeistigen
Blog-Theoretiker dankbar an und auch viele Festangestellte begannen spätestens jetzt, sich so ihre Gedanken über den Sinn
eines Lebens zu machen, das zum größten Teil am Schreibtisch im Büro eines Arbeitgebers stattfindet. Die Grundthese der beiden
traf auch auf Festangestellte zu: »Bot bislang die überbordende Warenvielfalt ein Ventil, um die niederschmetternde Gleichförmigkeit
der Arbeitswelt
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