Morgen komm ich später rein
den sechziger und siebziger Jahren den Begriff des modernen urbanen Nomaden aufgebracht. McLuhan skizzierte
in seinen Büchern künftige mobile Arbeitnehmer, die fast permanent weltweit unterwegs sind und kein Zuhause mehr brauchen.
In den achtziger Jahren benutzte der französische Wirtschaftswissenschaftler Jacques Attali – ein Berater von Präsident Francois
Mitterand – den Begriff, um eine Zukunft zu skizzieren, in der die Gesellschaft zwischen einer hochmobilen Jetset-Elite und
einer entwurzelten Arbeiterklasse gespalten wäre. In den neunziger Jahren schrieben Tsugio Makimoto und David Manner erstmals
ein Buch, in dessen Titel der Begriff des »digitalen Nomaden« vorkam und das vor allem die Segnungen neuester mobiler Gerätschaften
pries.
Doch nach Einschätzung des
Economist
lagen alle diese Visionen daneben. Als sie verfasst wurden, war die Technik nicht so weit entwickelt wie heute – es gab Geräte,
aber diese waren nicht miteinander |108| verbunden. Das damalige Bild des modernen Nomaden erforderte, dass er jede Menge tragbarer Technik mit sich herumschleppt
und insofern eher dem Bild eines Astronauten entsprach – der seine gesamte lebenserhaltende Umgebung mit sich bringen muss,
um zu existieren – als dem eines Beduinen. Der aktuell zu beobachtende reale Trend, so der
Economist
, existiere hingegen erst seit wenigen Jahren, weil die tatsächlichen modernen Nomaden sich, wie ihre Vorfahren in der Wüste,
nicht durch das definieren, was sie mitnehmen, sondern durch das, was sie zurücklassen. Moderne Nomaden haben keine Papierunterlagen
dabei, weil sie auf ihre Dokumente elektronisch zugreifen. Zunehmend haben sie nicht einmal mehr ein Laptop dabei – ihnen
reicht ein Blackberry oder iPhone – alle Informationen, die sie benötigen, sind online abrufbar.
Außerdem umfasst die moderne Definition des digitalen Nomaden nicht mehr notwendigerweise, dass er viel reist. »Er kann genau
so gut ein Teenager in Oslo, Tokio oder einer amerikanischen Kleinstadt sein, wie ein vielfliegender Geschäftsführer«, so
der
Economist
. Manuel Castells, ein Soziologe der Universität von Süd-Kalifornien sagt: »Permanente Verbindung ist das kritische Element,
nicht Bewegung.« James Katz, Professor an der Rutgers Universität in New Jersey glaubt gar, dass diese Entwicklung eine »historische
Re-Integration« unserer Arbeits- und Privatsphären zur Folge habe. In der vorindustriellen Gesellschaft arbeiteten die Menschen
an denselben Orten, an denen sie lebten. Erst die arbeitsteiligen Fabriken der Industriegesellschaft und die gigantischen
modernen Bürokratieapparate machten es nötig, die Sphären zu trennen, weil Arbeiter und Beamte an einem Ort versammelt werden
mussten, um effizient zu funktionieren. Heute vermischen sich die beiden Bereiche wieder, so Katz. Wir können arbeiten, wo
wir leben und umgekehrt.
Am Anfang des Buches wurde bereits an die Ende der neunziger Jahre von Nicholas Negroponte verkündete Vision der mobilen Internetnomaden
und Wissensarbeiter der New Economy erinnert. Etwa zur selben Zeit faszinierte viele Menschen der glamouröse und doch oft
jobbezogene internationale Jetset, den das von Tyler Brûlé herausgegebene britische Magazin
Wallpaper
anpries. Retrofuturistische |109| Hotels in Beirut oder Hanoi wurden ebenso vorgestellt wie neue Handymodelle, Anti-Jetlag-Tipps für Vielflieger und Shopping-Ideen
für stilsichere Weltenbummler. Was damals als unrealistische Technikträumerei beziehungsweise hedonistische Hochglanzfantasie
gelten durfte, wird heute dank veränderter technologischer und gesellschaftlicher Parameter plötzlich zur realen Option: Eine
Mischung aus Brûlé und Negroponte gibt keine schlechte Anleitung zum beruflichen Glück ab.
Wird durch die Easy Economy der tägliche Weg ins Büro passé, können wir – konsequent zu Ende gedacht – unsere Arbeit an Orten
erledigen, die für unsere Mütter und Väter technisch und finanziell unzugänglich waren. Diese Zeilen schreibe ich zum Beispiel
in einem sehr erschwinglichen, gleichzeitig unglaublich geschmackvollen Hotelzimmer in Shanghai. Der Internetanschluss per
W-Lan ist selbstverständlich kostenlos. Der Zimmerservice hat gerade frisches Obst gebracht. Die großartigen neuen Maßhemden,
die ich mir für 20 Dollar pro Stück habe anfertigen lassen, werden gleich geliefert, später treffe ich Freunde zum Abendessen.
Sie erinnern sich: Noch vor ein paar
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