Morgen komm ich später rein
Monaten saß ich in Deutschland jeden Tag am immer selben Schreibtisch im immer gleichen
Büro und ging erst nach Hause, wenn es draußen dunkel wurde. Sagen Sie mir, welche Variante besser klingt …
Tyler Brûlé ist inzwischen Herausgeber einer anderen Publikation, die für unser Thema noch interessanter ist als
Wallpaper
: Die Zeitschrift
Monocle
berichtet in Form eines internationalen Briefings aus aller Welt und begeistert sich für so unterschiedliche Themen wie die
japanische Marine, eine grönländische Fluglinie, Popkultur in Südkorea oder den neuen Nachtzug der deutschen Bahn. Vereinendes
Element:
Monocle
ist ein Magazin für Weltreisende (und sei es im Geiste), deren Interessen über die Grenzen des eigenen Landes hinausgehen.
Das Blatt versteht sich darauf, praktische Tipps für eine Flugmeilen sammelnde Elite zu geben: Welches Hotel in Hong Kong
hat die beste Lobby? Warum ist der Iris-Scanner für Frequent Traveller am Flughafen Heathrow eine tolle Erfindung? Welche
Expansionsstrategie verfolgt Finnair? Regelmäßig wird auch zum |110| Thema des unterwegs Arbeitens berichtet, denn das Magazin richtet sich dezidiert nicht an Urlaubsreisende. Mit großer Leidenschaft
wird hier zum Beispiel für drahtlosen Internetempfang in Passagierflugzeugen gekämpft: »Obwohl wir uns wünschten, wir würden
dieses Magazin recherchieren und redigieren, während wir in einer umgebauten koreanischen 777 sitzen und W-LAN benutzen –
ist das leider nicht der Fall«, heißt es im Schwerpunkt »Travel Top 50«. Es folgt ein kurzes Wehklagen über den leider abgeschalteten
»Connexion« Internet-Service an Bord von Boeing-Maschinen um dann zu frohlocken, dass Panasonic an einer Lösung des Problems
arbeitet und Quantas als eine der ersten Linien Online-Arbeiten während des Flugs ermöglichen wird – sobald sie ihre Airbus
A380 bekommt.
Ähnlich kosmopolitisch agieren vielleicht nur die deutschen Schriftsteller Christian Kracht und Eckhart Nickel, die schon
1998 mit ihrer literarischen Reportagesammlung
Ferien für immer
oder Artikeln wie »Der Schneider von Bangkok« das Ideal des globalen Flaneurs postulierten. Mal eben auf einen Gin-Tonic in
den Foreign Correspondents Club der thailändischen Metropole, das las sich damals noch ebenso weltläufig wie unrealistisch.
Angesichts von Billigfliegern und zunehmender beruflicher Mobilität sieht dies heute anders aus – die Easy Economy stellt
»Ferien für immer« vom Kopf auf die Füße.
Man kann all das nun blasiert finden, realitätsfern oder persönlich irrelevant – Tatsache ist, dass diese Haltung des konsequenten
mobilen Lifestyles aufs Schönste mit einer Folge der Easy Economy zusammenfällt: Wer nicht mehr an den Schreibtisch gekettet
ist, für den rückt diese globale Perspektive des Lebensentwurfes plötzlich in greifbare Nähe. Vergessen Sie bitte einen Moment
die Schlangen beim Einchecken, die Verspätungen und das Gedränge in der Kabine. Ignorieren Sie kurz die Sachzwänge, die es
garantiert vollkommen unmöglich machen, so etwas Verrücktes jemals wirklich zu tun – birgt die Verheißung von etwas mehr internationalem
Jetset nicht doch erhebliche Verführungskraft, vor allem verglichen mit der Monotonie Ihres Büroalltages? Ein bisschen zu
träumen schadet nie. Und wirkt enorm motivierend – denn wer sich nicht vornimmt, |111| demnächst ein paar Tage pro Monat unter Palmen zu arbeiten, der schafft es garantiert nicht. Denken Sie an Sally vom Anfang
des Buches, die ihren Job einfach ganz von London nach Teneriffa verlegt hat.
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Die Digitale Bohème
Das Lebensgefühl einer lässigen, urbanen Arbeits-Avantgarde, die Kreativität und Technikverständnis, Subversion und Kapitalismus
zeitgenössisch remixed, brachten 2006 der ehemalige Trendforscher Holm Friebe und der Werber Sascha Lobo auf einen debattentauglichen
Punkt. In ihrem Buch
Wir nennen es Arbeit
, mit ihrem Blog Riesenmaschine sowie in vielen Interviews, Fernsehdiskussionen und Vorträgen führten sie das Modell der von
ihnen so betitelten Digitalen Bohème vor – eines Lebensentwurfs, der in dem griffigen Motto kulminierte, es gebe »intelligentes
Leben jenseits der Festanstellung«. Das Buch sprach einer mit Internet und Handy aufgewachsenen, doch durch endlose Praktika
in Unternehmen zermürbten Generation der 25–35-Jährigen aus der Seele: »Die digitale Bohème verzichtet dankend auf einen
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