Morgen komm ich später rein
diese neue Arbeitswirklichkeit anzupassen, da diese in ihrer jetzigen Form eines der
größten Hindernisse für flexibleres Arbeiten darstellen. Schon die demografische Entwicklung erfordere das: Weil das Rentenalter
steigt und damit die Lebensarbeitszeit zunimmt, sollten die Gesetzgeber dafür sorgen, dass im Ausgleich mehr bezahlte freie
Zeit während der Rush-Hour des Lebens, also etwa zwischen 25 und 45 Jahren, zur Verfügung stehe. Außerdem: Je stärker die
europäische Bevölkerung altere, desto mehr müssten Arbeitnehmer neben dem Job und der Kindererziehung auch die Pflege der
Alten leisten – und wieder bliebe die Hauptlast wohl bei den Frauen hängen.
Mehr Flexibilität im Beruf ist auch angesichts sich stark ändernder familiärer Werte sinnvoll: Dass Frauen trotz Nachwuchs
ihren Job weiter ausüben, gilt zunehmend als gesellschaftlich akzeptiert – zum Glück, bleiben doch so hochqualifizierte weibliche |116| Arbeitskräfte der Wirtschaft erhalten, statt nach Studium und ein paar Jahren Berufserfahrung nur noch den Haushalt zu managen.
Und immer mehr Männer treten im Job kürzer und verbringen Zeit mit dem Nachwuchs: Die Zahl der Väter, die Elternzeit in Anspruch
nahmen, vervierfachte sich allein zwischen dem 4. Quartal 2006 und dem 4. Quartal 2007 nahezu von 3,5 auf 12,4 Prozent.
Die 32-jährige Berlinerin Christiane Lang hat einen zweieinhalbjährigen Sohn und einen fordernden Job. Als leitende Redakteurin
einer Fachzeitschrift für die Lebensmittelindustrie arbeitete sie bis vor Kurzem in der Agentur KircherBurkhardt im Berliner
Stadtteil Mitte und verbrachte während der Produktionszeiten oft zehn oder mehr Stunden am Schreibtisch. In diesen Hochphasen
sah sie ihr Kind kaum. Weil sie ihre ganze Arbeit mit einem Redaktionssystem am Computer erledigt, das es mehreren Kollegen
gleichzeitig ermöglicht, zeit- und raumunabhängig am selben Dokument zu arbeiten, hatte Christiane Lang eine Idee. Im Grunde,
so dachte sie manchmal, könnte sie dasselbe genau so effektiv von zu Hause tun. Aber weil sie noch nicht so lange in dem Unternehmen
war, traute sie sich nicht zu fragen. Und so war es ihr Chef, Geschäftsführer Andreas Schulte, der den Konflikt der jungen
Mutter sehr wohl bemerkte und ihr eines Tages den Vorschlag machte: Wir geben Dir einen externen Zugang auf unser System,
stellen Dir eine Festplatte mit allen Informationen und Programmen zur Verfügung und dann machst Du Deinen Job künftig von
zu Hause aus. Im Interview wollte ich wissen, wie sich die neue Arbeitssituation für die beiden bewährt.
Christiane Lang: Für mich ist das eine luxuriöse Situation. Ich kann mir die Arbeit frei einteilen. Als Mutter ist es schwer, sich an Kernarbeitszeiten
zu halten, weil man sein Kind ja tagsüber sehen möchte. Jetzt arbeite ich täglich acht Stunden, indem ich abends ein, zwei
Stunden dranhänge. Ich sehe meinen Sohn viel öfter und habe kein schlechtes Gewissen mehr.
Andreas Schulte: Wir arbeiten als Agentur sowieso sehr arbeitsteilig und technisch ist alles kein Thema mehr. Durch unser Redaktionssystem
mit Web-Anbindung hat man das Gefühl, der Kollege sitzt nebenan – egal, ob |117| er hier ist, zu Hause oder unterwegs. Ich habe als Arbeitgeber den Vorteil, dass ich Christiane keinen Arbeitsplatz im Büro
stellen muss. Sie ist total entspannt und die Produktion läuft seitdem super.
Hat sich Ihre Arbeitsweise dadurch verändert, Frau Lang?
Lang: Ich bin effektiver geworden. Vieles von dem, was im Büro angenehm ist – nette Kollegen, die gute Kaffeemaschine, Leute, die
auf einen Plausch vorbeikommen – absorbiert ganz schön viel Arbeitskraft. Ich bin jetzt viel schneller, etwa 15 bis 20 Prozent.
Ich arbeite konzentrierter, muss nicht so lange an Dingen herumdoktern, weil ich wieder abgelenkt wurde.
Schulte: Mal ehrlich: Im Büro wird so viel Zeit verdaddelt. Da wird gekickert, geraucht, Kaffee getrunken …
Was hat sich noch verändert?
Lang: Die anderen gehen jetzt respektvoller mit meiner Arbeitszeit um. Früher kam ständig jemand und wollte etwas. Jetzt rufen
die Kollegen an und fragen: Passt es gerade?
Und die Work-Life-Balance?
Lang: Ich telefoniere auch mal beruflich, wenn ich gerade in der Küche bin oder eine Waschmaschine anstelle. Man kann dem Postboten
die Tür öffnen oder kurz was erledigen. Früher, wenn ich in Stresszeiten morgens aus dem Haus gegangen bin, den ganzen Tag
im Büro war und abends spät
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