Morgen komm ich später rein
fast jedes modernen Berufes. Spätestens 2002 hat es der amerikanische Soziologe Richard Florida mit seinem
Buch
The Rise
of the Creative Class
allgemeinverständlich formuliert: Die kreative Klasse sorgt heute für wirtschaftliches Wachstum. Arbeitgeber und Regionen,
die diese anspruchsvolle Klientel anziehen, sind die ökonomischen Gewinner.
Wer gehört zur kreativen Klasse? Laut Florida ist ihren Mitgliedern gemeinsam, dass sie Ideen produzieren, mit denen Firmen
Geld verdienen können. Man kann die Kreative Klasse in drei Gruppen einteilen: »Rationale Innovatoren«, zu denen Ingenieure,
Naturwissenschaftler oder Informatiker zählen, zweitens die »kreative Mitte«, also zum Beispiel Betriebswirte, Werber oder
Designer und drittens »Künstler« wie Musiker, Schauspieler oder Maler.
An der ökonomischen Bedeutung dieser Klasse gibt es kaum noch Zweifel. Allein in den USA hat der kreative Sektor zu mehr als
20 Millionen neuen Jobs beigetragen, knapp die Hälfte aller Löhne und Gehälter gehen auf die Konten dieses wissensorientierten
Teils der Gesellschaft. Heute arbeiten in den hoch entwickelten Industrienationen zwischen 25 und 30 Prozent aller Werktätigen
im Kreativsektor – das heißt in Wissenschaft und Technik, Forschung und Entwicklung, in technologiebasierten Industriezweigen,
in Kunst, Musik, Kultur, Ästhetik und Design sowie in den wissensbasierten Berufen der Bereiche Medizin, Finanzwesen und Recht.
Im Vergleich: Die US-Arbeiterklasse kommt nur noch auf knapp 25 Prozent, die Serviceklasse bildet die zahlenmäßig größte Gruppe
mit 43 Prozent. Florida legte 2005 neue Berechnungen auch für Europa vor:
»Berücksichtigen wir die Techniker bei der internationalen Analyse mit, wächst der Anteil der kreativen Klasse in acht Ländern
sogar auf 40 Prozent und mehr: Niederlande (47 Prozent), Schweden (42,4 Prozent), Schweiz (42 Prozent), Norwegen (41,6 Prozent),
Belgien (41,4 Prozent), Finnland (41 Prozent) und Deutschland (40 Prozent). In praktisch allen übrigen Ländern liegt er bei
über 30 Prozent. Hinzu kommt, dass die kreative Klasse in vielen Ländern während der vergangenen zehn Jahre erstaunlich gewachsen |133| ist, in Neuseeland etwa seit 1991 von 18,7 Prozent auf 27,1 Prozent, in Irland hat sie sich im selben Zeitraum von 18,7 Prozent
auf 33,5 Prozent sogar annähernd verdoppelt.«
Die wichtigste Eigenschaft der kreativen Klasse ist ihre räumliche Mobilität. Ihre Mitglieder, so hat Florida herausgefunden,
ziehen gern in Städte mit einer lebendigen Subkultur, netten Straßencafés und einer toleranten Atmosphäre. An ihre Arbeitgeber
stellen diese Kreativen ähnlich hohe Ansprüche: Flexibilität, Eigenverantwortung und ein offenes, liberales Klima sind ihnen
wichtig. Der deutsche Trendforscher Matthias Horx beschreibt die neuen Arbeitnehmer so: »Mitglieder der kreativen Klasse sind
keine Bohèmiens, die täglich im Schöpfungsrausch geniale Tätigkeiten verüben. Sie können ihre Talente auch als Angestellte
ausüben. Aber sie DENKEN und FÜHLEN selbstständig.«
Und diese aufmüpfige Haltung soll mit einer effizienten Unternehmenskultur zusammengehen, die ja ganz ohne Disziplin, Zuverlässigkeit
und schlichtem Gehorsam auch nicht funktioniert? Es geht – wie, das zeigen einige wegweisende, extrem erfolgreiche Firmen,
über die wir im nächsten Kapitel mehr erfahren.
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|134| Kapitel 9
Kreativzeit als Ideeninkubator
»Bei der Muße soll nicht etwa träges Nichtstun locken,
sondern das Erforschen und Auffinden der Wahrheit.«
Aurelius Augustinus
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Kreativität und Freiheit in deutschen Unternehmen
Als Stefan Liske noch Manager für die Produktstrategien aller Marken im Volkswagen-Konzern war, hatte er eine revolutionäre
Idee. Der begeisterungsfähige, agile junge Mann sollte herausfinden, warum sich VW-Modelle in den USA nicht mehr so gut verkauften
– der Hersteller hatte in den vergangenen Jahren in diesem Markt gegen den Trend jährlich mehr als eine Milliarde Dollar Verlust
gemacht. Liske wollte wissen, was dagegen zu tun sei und er wollte dies auf eine Weise recherchieren, wie es beim konservativen
Wolfsburger Konzern noch nie getan worden war.
Liske hatte vorher zehn Jahre bei BMW gearbeitet und dort untersucht, wie »echte Durchbruchprojekte« bei Innovationsmeistern
wie dem amerikanischen Computerforschungszentrum MIT zustande gekommen waren, wie IBM den PC
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