Morgen komm ich später rein
Suchmaschinen-Giganten
arbeiten einige der klügsten Köpfe der Welt. Von den rund 12 000 Mitarbeitern haben allein 600 einen Doktortitel. Geschäftsführer
Eric Schmidt ist stolz darauf, dass in seinem Unternehmen ein gewisses Maß an kreativer Unordnung als Organisationsprinzip
herrsche.
Google lässt seine Kreativen 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in Tüfteleien stecken, die mit ihren aktuellen Aufgaben gar nichts
zu tun |139| haben. Dabei werden sie ermutigt, lose Arbeitsgruppen über Abteilungsgrenzen hinweg zu bilden und sollen sich über den konkreten
wirtschaftlichen Nutzen ihrer Erfindungen dezidiert keine Gedanken machen. Ergebnisse dieser »Kreativzeit« waren unter anderem
der Webmail-Service Gmail, der es mit seinem riesigen Speicherangebot erstmals unnötig machte, elektronische Post ständig
zu löschen, sowie Google-Earth, der Suchservice mittels dreidimensionaler Satellitenkarten, den inzwischen selbst TV-Nachrichten,
Navigationsgeräte und Handys nutzen.
»Google ist das beste Beispiel für eine Firma, deren Erfolg darauf beruht, ihren Mitarbeitern enorm viel freien Lauf zu lassen«,
schreiben David Vise und Mark Malseed in ihrem in 24 Sprachen übersetzten Firmenportrait
Die Google-Story
. »Dieser Spielraum gibt den Mitarbeitern das Gefühl, dass sie nicht wie der Affe auf dem Schleifstein in einer herkömmlichen
Firma schuften«, so die Autoren. Firmenboss Schmidt erklärt, wie sie auf die ungewöhnliche Idee der großen Freiheit kamen:
»Wir haben uns enorm angestrengt, an der vordersten Innovationsfront mitzuspielen, indem wir die Entscheidungsbefugnis und
Selbstständigkeit ›nach unten‹ weiterreichen.«
Die einzige Ausnahme sei die Buchhaltung, »da bleiben wir beim traditionellen Modell«, so Schmidt. Die Zahl unabhängiger Tüftelprojekte
ist auf irgendwo zwischen 100 und 300 gestiegen. Mit dem Ergebnis der Kreativzeit ist Eric Schmidt jedenfalls sehr zufrieden:
»Wir kennen die nächste Killer-Application nicht, aber mit großer Wahrscheinlichkeit sind wir der Laden, in dem sie erfunden
wird.« Google ist jedoch nicht das einzige Unternehmen, das seinen Mitarbeitern so viel Freiheit einräumt und es war auch
nicht das erste. Das Paradebeispiel für den neuen Trend der Easy Economy ist paradoxerweise eines, das vor fast 100 Jahren
seinen Anfang nahm.
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3M : Freiheit für Innovation
Als Richard Drew, Ingenieur beim Unternehmen Minnesota Mining & Manufacturing, eines Morgens im Jahr 1923 in einer Autowerkstatt
ein neues Schleifpapier testete, hörte er einen Mann fluchen. Der Lackierer |140| versuchte, einen Wagen in zwei Farbtönen zu verschönern, aber zu dieser Zeit war das Abklebeband sehr schlecht – Farbe suppte
von einer Farbfläche zur anderen, anstatt einen geraden Übergang zu ergeben. Richard Drew versprach ihm, Abhilfe zu schaffen
– durchaus kein nahe liegender Gedanke, stellte sein Arbeitgeber, der später unter dem Namen 3M als hochinnovatives Unternehmen
zu Weltruhm gelangen sollte, doch damals ausschließlich Schleifmittel her.
Der Ingenieur forschte zwei Jahre an einer Lösung für das Problem des Lackierers. Irgendwann verbot der Chef, weitere Arbeit
in das Seitenprojekt zu stecken und befahl ihm, sich lieber wieder seinem eigentlichen Job zu widmen, der Entwicklung wasserfesten
Schleifpapiers. Drew tüftelte heimlich weiter an seinem Steckenpferd und fand schließlich die Lösung. Das »Scotch masking
tape« genannte Produkt wurde vermarktet, brachte seinem Arbeitgeber im ersten Jahr gleich über 160 000 Dollar Umsatz ein und
zehn Jahre später bereits mehr als eine Millionen.
Drews Chef William McKnight, der Vizepräsident der Firma, hatte seine Lektion gelernt: Fortan wollte er Ingenieure ihren Instinkten
folgen lassen. Diese Erkenntnis fasste er in die heute noch bei 3M als »15-Prozent-Regel« bekannte Anweisung: Ingenieure dürfen
sich bis zu 15 Prozent ihrer Arbeitszeit mit fachfremden Themen und scheinbar abseitigen Projekten beschäftigen. Seine Mitarbeiter
jeden Tag nur nach Vorschrift verbringen zu lassen, das schlussfolgerte McKnight, nahm ihnen allen Elan und viel ihrer Kreativität.
Das Ergebnis war ein stetiger Strom an Innovationen: Bei 3M wurde das reflektierende Straßenschild ebenso erfunden wie Scotchgard,
die chemische Imprägnierung von Leder oder Stoffen, und – vielleicht am Bekanntesten: der Post-It-Zettel. Heute arbeiten über
75 000 Mitarbeiter in 65
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