Morgen komm ich später rein
Lösungen sucht – dies kann bewusst oder unbewusst geschehen. In der dritten Phase der »Illumination« erlebt
der kreative Mensch, so Runco, »divergentes Denken, Offenheit und Aufregung«. Während der »Verifikation« wird die eigene kreative
Arbeit bewertet und mit existierenden Ansätzen verglichen. Schließlich folgen mit der »Kommunikation« und der »Validation«
jene Phasen, in denen das neue kreative Werk zunächst anderen Experten und dann der Gesellschaft zugänglich gemacht, von außen
bewertet und entweder angenommen oder abgelehnt wird. Wie die Aussagen von Pöppel sowie die Theorien von Torrance und Runco
zeigen, hat Kreativität scheinbar widersprüchliche Voraussetzungen: Zurückgezogenheit und Kommunikation, einsames Denken und
äußerer Input, Ruhe und öffentliche Diskussion. Weder stimmt also in der Regel das Klischee des einsiedlerischen Genies, das
in der Isolation seine größten Werke schafft. Noch kann unter dem täglichen Dauerfeuer der Ablenkung, wie wir es am Arbeitsplatz
erleben, wirkliche Kreativität entstehen.
Kurz: Wer kreativ sein will, braucht abwechselnde Phasen intensiver Informationsaufnahme, einsamer Kontemplation und kommunikativer
Auseinandersetzung mit anderen. Der normale 8- bis 10-Stunden-Arbeitstag mit Anwesenheitspflicht und Meetingzwang erlaubt
den zweiten Schritt nicht: Das »Inkubation« genannte zurückgezogene Verarbeiten, das Innovation erst möglich macht, kommt
zu kurz. Nur eine flexible Arbeitsweise, in der Zeit im Büro mit Phasen der Abwesenheit relativ frei kombinierbar sind, macht
uns wirklich – wie von Medien und Arbeitgebern immer wieder gefordert – zu kreativen Mitarbeitern.
»In der Wissensgesellschaft spielt es keine so große Rolle mehr, wo, in welcher Umgebung und zu welchen Uhrzeiten ich gute
Ideen und spannende Konzepte entwickele«, sagt Hermann Hartenthaler, der im Forschungs- und Entwicklungszentrum der deutschen
Telekom mobile Arbeitskonzepte realisiert. Im Gegenteil: Nach Untersuchungen der Universität St. Gallen entstünden 80 Prozent
aller Ideen außerhalb des Arbeitsplatzes, also zu Hause oder unterwegs. Hartenthaler: »Wenn es darum geht, kreativ zu sein,
sind Freiräume |131| und andere Umgebungen wahrscheinlich sogar förderlicher als das Büro.« Natürlich muss man die Ideen dann auch festhalten und
umsetzen können und da hilft die mobile Technikanbindung: »Ich klappe eben zu Hause spätnachts noch mal den Laptop auf, mache
mir eine Notiz oder schicke eine E-Mail.«
Der angestellte Architekt Peter Meier arbeitet vier Tage pro Woche im Büro, freitags darf er von zu Hause aus seinem Job nachgehen.
Sein Chef war erst skeptisch, findet die Regelung aber inzwischen so effektiv, dass er sie auch seinen anderen Mitabeitern
anbieten will. Doch was genau macht Meier am Tag seiner Heimarbeit? Ist die Versuchung nicht groß zu faulenzen, fernzusehen?
Seine Antwort ist überraschend ehrlich: »Als erstes habe ich an meinen Freitagen die gesamten sechs Staffeln
Sopranos
durchgeschaut.« Die amerikanische Fernsehserie hat, zugegeben, viele Preise gewonnen, aber ist das nicht ein Missbrauch der
Regelung? Nein, da ist Meier ganz sicher. Er holt nicht nur die verlorene Arbeitszeit durch E-Mails am Abend, Telefonate am
Wochenende sowie quasi ununterbrochenes Zeichnen und Scribbeln von Ideen locker wieder auf. Vor allem aber hilft ihm die artfremde
Informationsaufnahme, auf neue Gedanken zu kommen, den Kopf freizuräumen – schlicht: wieder kreativ zu sein. Glaubt man dem
gängigen Forschungsstand zum Thema, hat er Recht.
131
133
131
133
false
Wie die kreative Klasse die Wirtschaft prägt
Warum ist es überhaupt so wichtig, kreativ zu sein? Dass wir nicht mehr in der Industrie-, sondern in der Wissensgesellschaft
leben, hat sich herumgesprochen. Die großen Konzerne unserer Zeit produzieren nicht mehr Stahl, sondern Ideen und Patente
und die Art, wie wir arbeiten, hat sich nicht nur in entwickelten Ländern fundamental gewandelt. Wir designen, programmieren,
organisieren. Wir vertreiben, verkaufen, verwalten. Wir verdienen unser Geld mit dem Inhalt unserer Köpfe. Und weil wir seit
der Theorie der schöpferischen Zerstörung des Wirtschaftswissenschaftlers Joseph Schumpeter wissen, dass der Kapitalismus
seine Kinder frisst und |132| sich permanent neu erfindet, muss uns bei der Arbeit eben immer wieder etwas Neues einfallen. Kurz: Kreativität ist heute
die Kernkompetenz
Weitere Kostenlose Bücher