Morgen komm ich später rein
erfunden oder die NASA Menschen
auf den Mond gebracht hatte. Ähnlich war der Auftrag von VW-Chef Bernd Pischetsrieder an Liske, der ihn bei seinem Wechsel
von BMW mitgebracht hatte. Pischetsrieder bat Liske, am Beispiel USA den etwas müden Laden Wolfsburg aufzumischen und fit
für die Zukunft machen.
Liske abstrahierte von seinen internationalen Vorbildern und schuf die – aus seiner Erfahrung – ideale Arbeitsumgebung für
ein kreatives Hochleistungsteam: Er stellte eine bunt gemischte Truppe aus 23 Designern und Konstrukteuren, Finanzfachleuten
und Marketingexperten zusammen, verfrachtete sie Anfang 2005 nach Los |135| Angeles und ließ sie als Trendscouts vor Ort die Kundenbedürfnisse erleben. »Es ging um völlig neue Formen der Zusammenarbeit:
Wie schafft man kreative Freiräume, wie viel Freiheit brauchen die Menschen? Wie wichtig ist Technologie, also zum Beispiel
eine mobile, hochmoderne Computer- und Kommunikationsausstattung? Wie kann man die Leistung des Teams über die normalen Bereichsgrenzen
hinaus deutlich steigern? Wie möchten die Mitarbeiter eigentlich arbeiten?« Weil eine solche interdiziplinäre und experimentelle
Arbeitsweise für VW schwer nach Science Fiction klang und weil Liske immer noch viel an IBM, MIT und vor allem NASA dachte,
bekam das Projekt folgerichtig den Namen »Moonraker«.
Das Team um Liske arbeitete, wie es in der Heimat nie möglich gewesen wäre. Dort hatten sie in öden Einheitsbüros gesessen
und Marktforschungs-Präsentationen am Bildschirm durchgeklickt. In Los Angeles bezogen sie eine großräumige Villa in Malibu,
tauschten graue Anzüge gegen bunte Poloshirts und Shorts und schraubten erst mal gemeinsam bei IKEA besorgte Schreibtische
zusammen. Von nun an unterhielten sich die 23 Scouts beim Frühstück in der Gemeinschaftsküche, im Großraumbüro oder nach dem
Abendessen über Ideen und praktische Recherche-Ansätze, über amerikanische Kultur und Mobilitätskonzepte. Sie konferierten
»spontan in einer Sofaecke, auf der Terrasse, bei Starbucks oder am Strand. Alle sind hochmobil, ausgerüstet mit Laptops,
Blackberry und Fahrzeugen der Wettbewerber«, beobachtete ein Reporter im Auftrag der Unternehmensberatung McKinsey.
Zunächst reisten sie 24 Tage lang durch die USA, besuchten Ausstellungen, drehten Filme, führten Interviews mit potenziellen
Käufern. Sie studierten unterschiedliche Infrastrukturen, demografische Besonderheiten, und setzten sich bei Amerikanern auf
den Autorücksitz, um herauszufinden, wie diese mit den Armaturen umgehen, wo sie ihre Einkäufe, Handtaschen und Sonnenbrillen
ablegen. Zu Hause könne er vielleicht in einer Studie lesen, dass 10 Prozent der Kunden die Klimaanlage nicht gefalle, sagt
Konzeptingenieur Niklas Meyer, »aber was genau gefällt ihnen nicht? Das steht da nicht drin.« Im direkten Gespräch könne er
nachhaken.
|136| Die Kollegen in Wolfsburg beobachten die Rechercheure in Kalifornien derweil skeptisch – ist das alles nur ein großer Abenteuerurlaub?
»Im Vergleich zu den USA wird in vielen deutschen Unternehmen gleich torpediert, wenn eine Abteilung oder ein Projekt Sonderregelungen
mit höheren Freiheitsgraden hat«, sagt Liske heute: »Nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern aus einer Neidkultur heraus.
Sowas lähmt extrem und demotiviert das vermeintliche Hochleistungsteam.«
Im Juni 2006 endet das Experiment Moonraker und viele Teilnehmer können sich nicht vorstellen, wieder in ihre Büros zurückzukehren,
ins langweilige Einerlei des täglichen Arbeitstrotts. Fünf kündigen, »davon haben sich zwei selbstständig gemacht und drei
sind zu anderen Unternehmen gewechselt«, so Liske: »Drei oder vier tun sich im Tagesgeschäft ihrer jetzigen Linienfunktionen
sehr schwer. Andere habe ihr Arbeitsumfeld geändert, haben etwas von dem Vibe mitgenommen, lassen heute Schlips und Anzug
zu Hause.« Es gab aber auch Teilnehmer, die Moonraker eher als »schwierig« empfunden hätten und jetzt wieder alles so machen
wie vorher.
VW-Konzernchef Pischetsrieder und Markenvorstand Wolfgang Bernhard glaubten damals zwar an diese ungewöhnliche Form der Innovationsfindung,
Liske bekam den Auftrag in Shanghai, in Indien, bei Seat und Audi weiterzumachen, den Ansatz zu multiplizieren und in die
Kernentwicklungsprozesse zu verankern. Doch als die Chefs abgelöst wurden, ging auch Liske. »Die Hauptpromotoren waren weg.«
Liske machte sich mit einer Agentur für
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