Morgen komm ich später rein
alle Abteilungen nach ROWE arbeiteten, haben Kollegen eine Beförderung sausen lassen, weil sie dafür zu den alten, strikten
Arbeitszeiten hätten zurückkehren müssen«, so McDevitt.
Best Buy ist längst nicht mehr das einzige Unternehmen, das die Vorteile der Flexibilität für sich erschließt. Der DVD-Versand
Netflix überlässt es seinen Angestellten, wie viele Wochen Urlaub sie im Jahr nehmen wollen – Anwesenheitspflicht ist für
Gründer Reed Hastings »ein Überbleibsel des Industriezeitalters«. Die British Telecom, die schon seit 1993 Telearbeit anbietet
und bei der inzwischen rund 6 000 ihrer etwa 100 000 Mitarbeiter von zu Hause aus sowie knapp die Hälfte örtlich flexibel
arbeiten, hat dadurch die Immobilienkosten allein zwischen 1993 und 2001 halbiert – eine Ersparnis von 230 Millionen Pfund.
Zudem wurde ein Produktivitätszuwachs von 15 bis 31 Prozent der mobilen Kollegen gegenüber jenen mit einem festen Büroarbeitsplatz
festgestellt. Als Hauptgrund vermutet |152| das Telefonunternehmen ein Phänomen, das bereits zu Anfang des Buches ausführlich behandelt wurde: Zuhause gebe es schlicht
weniger Ablenkung als im Büro.
Von anderer Seite werden im Heimatland von British Telecom noch dramatischere Fleißzuwächse vermeldet. Beim Pilotversuch der
Stadtverwaltung Rotherham in Sachen Heimarbeit ergab sich angeblich eine 67-prozentige Steigerung der Produktivität und 38
Prozent weniger Krankmeldungen. Nun gut, hier handelt es sich um Verwaltungsbeamte, bei denen noch Produktivitätsreserven
zu vermuten waren, aber die Tendenz wird klar.
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Wissenschaftler sind begeistert
Phyllis Moen, Soziologie-Professorin an der Universität von Minnesota, die zum Thema Work-Life-Balance forscht, begleitet
das ROWE-Experiment bei Best Buy wissenschaftlich. Die Studie wird finanziert vom National Institute of Health, der weltweit
größten wissenschaftlichen Organisation. Moens Urteil ist eindeutig: Unternehmen sind, was ihr Verhältnis zur Arbeitszeit
angeht, in den dreißiger Jahren steckengeblieben: »Unser Begriff von bezahlter Arbeit stammt noch aus der Zeit der Fließbandkultur.
Anwesend zu sein wurde gleichgesetzt mit Arbeit. Best Buy hat eingesehen, dass in einem Stuhl zu sitzen nicht länger bedeutet,
zu arbeiten.« Arbeitsexperte Bill Jensen sagt über derartige Modelle: »Neue Konzepte dieser Art sind mehr als nur eine Erhöhung
der Mobilität. Sie reflektieren eine Haltung, und sie sind ein Indikator für einen kulturellen Wandel. Wenn man von Menschen
schon erwartet, dass sie mehr leisten sollen, dann kann man von den leitenden Mitarbeitern auch erwarten, dass sie sich mehr
um die Bedürfnisse der Menschen kümmern.«
Cali Ressler und Jody Thompson haben inzwischen ein Beratungsunternehmen gegründet, um auch anderen Konzernen die Segnungen
der totalen Flexibilität zukommen zu lassen. Culture Rx heißt die Firma und hat bereits erste Klienten. Das größte amerikanische
Steuerberatungsunternehmen Ryan ist jetzt ROWE-Kunde und hat |153| begonnen, seine über 700 Mitarbeiter vom Schreibtischzwang zu befreien. Die Bekleidungskette GAP prüft, ob sie ebenfalls ROWE
einführen will und die
Business Week
widmete Ressler und Thompson eine Titelstory.
Noch ist der Schritt für viele Unternehmen zu radikal, vor allem weil ROWE bedeutet: Ganz oder gar nicht. Nicht nur die Außendienstler,
die Programmierer, die Callcenter-Mitarbeiter oder die Berater werden aus der Stechuhr entlassen, sondern jeder Mitarbeiter.
Thompson ist sicher, dass ROWE für jeden Arbeitsplatz in Frage kommt: »100 Prozent aller Jobs können so funktionieren.« Wie
eine abgestufte Flexibilität für Einzelhandelsverkäufer aussehen kann, testen die beiden gerade in den Best Buy-Filialen,
vergleichbar Saturn- oder Mediamarkt-Häusern in Deutschland.
Das Beispiel von Best Buy ist sicher ein radikales – aber eines, das erfolgreich den Praxistest bestanden hat und darum Mut
macht. Wenn eine Konzernzentrale mit über 4 000 Angestellten ihre Mitarbeiter von der Anwesenheitspflicht befreien kann, dann
muss das auch in anderen Branchen möglich sein und in anderen Ländern. Wie sieht es mit der Easy Economy in Deutschland aus?
Und was haben die hiesigen Unternehmen davon?
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|154| Kapitel 11
Die Easy Economy in Deutschland
»Die Charakteristika unserer Generation prädestinieren uns
für den frühzeitigen Umgang mit dem Computer
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