Morgen komm ich später rein
»vollkommen transparent.
Der Projektleiter muss nicht stundenlang vom Krankenbett aus seinen neuen Kollegen einweisen. Er hat alle Schritte seiner
Aufgaben detailliert im System festgehalten, der neue Kollege muss sich nur einlesen und kann sofort den Kunden übernehmen.«
Das funktioniert auch, wenn die Geschäftsleitung im Urlaub ist, denn diese Rechte und Pflichten gelten für Angestellte und
Management gleichermaßen. »Es kann nicht sein, dass bei einem Krankheitsfall nur ein einziger Mitarbeiter weiß, worum es genau
geht«, so Lorenz, »Eine Organisation muss künftig systemisch in der Lage sein, personenunabhängig arbeiten zu können.«
|177| Die tägliche Dateneingabe dauert laut Firmenchefin nicht länger als 15 Minuten, doch der Vorteil, den diese Planung auf der
anderen Seite eröffne, sei gigantisch. Denn diese, wie sie es nennt, »atomare Arbeitsweise« bedeutet in der Praxis eine totale
Befreiung vom Anwesenheitszwang alter Schule: »Wenn ich alle heutigen Aufgaben erledigt habe, kann ich nach Hause gehen. Wir
müssen weg von der Einstellung, dass nur die Leistung zählt, bei der lange Anwesenheit im Büro nachgewiesen werden kann und
gearbeitet wird, bis das Blut spritzt.« Anarchie herrscht bei Lorenzsoft deswegen nicht: Die Chefin kontrolliert auch von
unterwegs per Laptop, wie weit die jeweiligen Projekte sind und welcher ihrer Mitarbeiter gerade was macht.
Die reduzierte Art des Informationsaustausches nach dem Prinzip »wenige, aber klare Absprachen« schafft Mitarbeitern wie Projektleitern
großen Freiraum, sagt Lorenz: »Sie können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und verlieren keine Zeit in endlos langen
Meetings.« Überstunden sind bei Lorenzsoft angeblich unbekannt und wer zwischendurch einkaufen oder ins Kino will, geht einfach.
Diese flexible Arbeitsweise komme unterschiedlichen Lebensumständen entgegen, so Lorenz: »Wir haben junge Väter, die das schätzen,
aber auch weibliche Mitarbeiter, die zu normalen Zeiten zum Friseur gehen wollen.« Unternehmen müssten künftig in der Lage
sein, attraktive Arbeitsplätze für Mütter zur Verfügung zu stellen. Denn eine Mutter sei ja kein lästiger Ballast, der keine
Verantwortung übernehmen kann, »sondern wertvolles Potenzial, das zum nächsten Wettbewerber wandern könnte.«
Ein besonders großer Gewinn dürfte für Antonella Lorenz aber in der persönlichen Freiheit liegen, die sie als Chefin aus dieser
Organisationsform zieht: »Das Handy bleibt während des Urlaubs aus, da alle Zuständigkeiten, Zeitabläufe und Kundentermine
im System fixiert worden sind.«
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Die Easy Economy in der Verwaltung
Selbst in der oft als unflexibel und altmodisch gebrandmarkten öffentlichen Bürokratie kann die Freiheit Einzug halten. So
hat die |178| Stadtverwaltung Wolfsburg schon vor mehr als zehn Jahren Vertrauensarbeitszeit eingeführt. »Es wird nicht mehr gestempelt,
Arbeit wird nicht nach Zeit gemessen, sondern nach Aufgaben«, sagt Christian Cauers, Pressesprecher der Stadt. Obwohl die
öffentlichen Bediensteten also in Wolfsburg mehr oder weniger kommen und gehen können, wann sie wollen, leidet der Bürgerservice
darunter nicht – im Gegenteil: »Unsere Bürgerdienste haben nahezu durchgehende Betreuungszeiten, ohne Mittagspause.« Das klappt
heute sogar noch besser als früher, weil Teams sich jetzt flexibel absprechen: Wer will heute später reinkommen, wer hat Lust
auf eine Frühschicht?
Bei internen Aufgaben wird die Anwesenheit sogar noch flexibler gehandhabt. Cauers: »Einige Kollegen arbeiten bis in die Abendstunden,
manche kommen auch samstags oder sonntags rein, wenn beispielsweise bei verdichteten Projekten mit Termindruck gerade viel
anliegt.« Dafür gehen sie dann tagsüber ins Fitnessstudio, widmen sich Vereinstätigkeiten, bleiben zu Hause wenn ein Kind
krank ist. »Bei uns sind viele individuelle Lösungen möglich«, so Cauers.
Anfängliche Kritik habe sich nach der Einführung dieser Arbeitsweise schnell gelegt. Bald war allen klar: Jetzt zählt der
Teamgedanke. Man einigt sich auf Zielvereinbarungen, »wer das wie und wann erledigt, ist egal«. Frühaufsteher stimmen sich
mit Morgenmuffeln ab – das Umdenken von der strikten 40-Stunden-Woche sei schnell gegangen. »Wolfsburg war schon immer fortschrittlicher,
auch weil es eine junge Kommune ist – gerade mal siebzig Jahre alt« so Cauers. Als vor zehn Jahren die
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