Morgen komm ich später rein
Peter Willmes »absolut passé«. Er sei zwar häufig auch im Büro, wenn er zum Beispiel
Gesprächstermine habe. »Aber ich komme aus dem Sauerland und wenn zum Beispiel mal wieder stark Schnee fällt, arbeite ich
eben von zu Hause und bin dort genau so effektiv. Ich teile mir den Arbeitstag dann natürlich anders auf, weil ich die persönlichen
Meetings nicht mehr habe, ich bin flexibel und es ist für mich kein verlorener Tag.« Er versuche sogar, in gleicher Zeit mehr
zu erledigen. Für Willmes überwiegen die Vorteile dieser Arbeitsweise: »Ich kann flexibel und sehr schnell kommunizieren,
habe nie das Gefühl, es laufen Dinge auf, die ich nicht abarbeiten kann. Ich kann relativ früh Informationen |175| screenen und prioisieren und kann anhand dessen meinen Arbeitsalltag spezifizieren.« Vor ein paar Jahren musste er noch viel
physikalische Post lesen und wenn er sechs Wochen verreiste, sah er erst danach, was in der Zwischenzeit auf seinem Schreibtisch
gelandet war. Heute fühlt er sich schneller und effizienter, versucht Zeitverschwendung zu reduzieren: »Wenn Sie wissen, dass
morgens um neun Rush Hour ist, dann arbeiten Sie erstmal zwei Stunden von zu Hause und fahren um zehn Uhr los, um den Stau
zu vermeiden.«
Für Peter Willmes ist diese Art zu arbeiten schon Berufsnormalität. Grenzen sieht er, wenn neue Kollegen im Unternehmen anfangen.
»Dann sagen wir: Bitte die ersten sechs Monate sehr viel im Büro sein, weil die Leute euch kennen lernen müssen. Die müssen
Vertrauen zu euch aufbauen, sehen, was für ein Mensch ihr seid. Danach könnt ihr häufiger im Homeoffice sitzen.« Stryker achte
sehr auf die Talente der Mitarbeiter und das erfordere häufig, den Leuten mehr Freiraum zu geben und stärker auf die Personen
einzugehen. Willmes erzählt von einer Mitarbeiterin, 35 Jahre alt, die kürzlich ein Kind bekam: »Wie gestalten Sie deren Arbeitsplatz
so, dass sie trotzdem weiterhin Vollzeit arbeitet? Sie macht zwei Tage im Homeoffice, bekommt von uns eine Kinderbetreuung
und kann so ihrem Job nachgehen. Wir können ihr Knowhow abrufen, müssten sonst eine neue Person finden, einstellen und einarbeiten
– und das wäre teuer.« Darum bietet Stryker solche Flexibilität und Mobilität gleich im Vorstellungsgespräch an. Für den Marketingchef
ist das absolut keine Generationenfrage – »damit können Ältere genau so gut umgehen wie Jüngere. Sie müssen nur wissen, wo
ihre Grenzen und Freiräume sind.«
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Freiheit auch für Führungskräfte
Antonella Lorenz ist Unternehmerin, beschäftigt zwanzig Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 1,5 Millionen
Euro. Sie hat ihre Software-Firma Lorenzsoft 1991 in München gegründet, seitdem aufgebaut und man könnte sie sich als gestressten,
ausgelaugten Workaholic vorstellen. Das Gegenteil ist der Fall. Die dynamische |176| 44-Jährige sagt, sie werde als Managerin keineswegs ständig beansprucht, um schnell ein Projekt zu retten oder einen Kunden
zu beruhigen. Und – undenkbar für viele ihrer Chefkollegen: Sie könne durchaus mal drei Wochen am Stück in Urlaub gehen.
Diesen für Unternehmer ganz ungewöhnlichen Zustand hat sie paradoxerweise erreicht, indem sie auch ihren Mitarbeiten besonders
viel Freiheit einräumt. Ihre Philosophie ist es, »Arbeitsabläufe zu beschleunigen und so jedem einzelnen mehr Lebensqualität
zu verschaffen« sowie »durch kleinteiliges Arbeiten Freiräume entstehen zu lassen«. Heißt konkret: Alle dürfen so kurz oder
lang arbeiten, wie sie wollen. Sie können während der Arbeitszeit einkaufen gehen oder ins Café. Sie müssen nur innerhalb
vereinbarter Zeiten alle ihre Aufgaben erledigt haben. Um acht Uhr morgens anfangen, dafür aber um drei mit den Kindern in
den Zoo gehen? Bei diesem Arbeitgeber kein Problem.
Lässiges Improvisieren ist all dies dennoch nicht. Die virtuelle Stechuhr wird erst durch peinlich genaue Planung möglich,
so Lorenz. Jeder einzelne Auftrag wird zunächst in kleinste Arbeitsschritte aufgeteilt: »Dann geben unsere Mitarbeiter wöchentliche
Zeitangebote in unser System ein. Sie haben dabei die aktuelle Auftragslage im Visier, können aber gleichzeitig ihre Freizeitaktivitäten
berücksichtigen. Sie agieren eigenverantwortlich und loten ihre Zeit im Büro mit der Zeit für die Familie selbst aus.«
Fällt ein Kollege wegen Krankheit aus, kippt nicht das gesamte Geschäft, denn Lorenzsoft arbeitet
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