Morgen komm ich später rein
bei Siemens tarifvertragliche und gesetzliche Regelungen eingehalten werden: Zu beachten
ist vor allem Paragraph 16, Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes: »Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche
Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen.« In der Praxis von Vertrauensarbeitszeit wird diese
Vorgabe oft aufgeweicht und in Form von elektronischer Zeiterfassung ohne Kontrolle erfüllt oder als Selbstaufzeichnung der
Arbeitszeiten. Einige weitere Regeln müssen strenger eingehalten werden: Mehr als zehn Stunden pro Tag darf keiner arbeiten,
das Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen ist zu beachten und Arbeitszeiten gelten nach wie vor als Grundlage fürs Einkommen.
Aber wann diese Arbeit geleistet wird, ist den Angestellten weitgehend selbst überlassen – und zunehmend auch |173| die Entscheidung, wo. Um zeitweise von zu Hause aus arbeiten zu können, muss bei Siemens zwar ein separater Telearbeitsvertrag
abgeschlossen werden, aber dann »sehen wir das gern, wenn jemand diese Flexibilität nutzt und zum Beispiel in Ballungsgebieten
einen oder zwei Tage von zu Hause aus arbeitet, statt im Stau zu stehen«, so Liesen. Diese Option werde auch zunehmend genutzt.
Überhaupt glaubt Liesen, dass Arbeitnehmer »langfristig verstärkt mobil und flexibel« werden. Sein Blick in die Zukunft sieht
so aus: Ȇber ein virtuelles Netzwerk kann ich von jedem Punkt der Erde permanent arbeiten. Ich bin unterwegs, logge mich
in mein Firmennetz ein, kann per Sprache oder Datenleitung kommunizieren, muss dazu nicht um neun Uhr morgens im Büro sitzen
und um 17 Uhr Feierabend machen.« Bei dieser Vision müsse man halt nur aufpassen, ab und zu auch mal abzuschalten, um nicht
ständig erreichbar zu sein.
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Moderne Unternehmenskultur über Generationen hinweg
Im Jahr 2007 wurde dem in Duisburg ansässigen deutschen Tochterunternehmen der US-Firma Stryker eine begehrte Auszeichnung
verliehen: Es wurde von Top Job, einem Wirtschaftspreis für innovative Arbeitgeber unter der Schirmherrschaft von Wolfgang
Clement, auf den ersten Platz in der Kategorie »Motivation und Dynamik« gewählt. Was andere Firmen dank Dienstwagen, Eckbüro,
Umsatzbeteiligung und Spesenkonto erreichen, schaffte der global agierende Hersteller orthopädischer und medizintechnischer
Produkte mit einem einfachen Trick: Stryker räumt seinen Mitarbeitern – in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind es
etwa 1 500, weltweit knapp 19 000 – ein extremes Maß an Flexibilität und Freiheit ein.
Natürlich arbeitet der Außendienst bei Stryker flexibel, aber auch Produktmanagement, Marketing und Geschäftsleitung. Manchmal
lohnt es sich nicht, morgens in die Firma zu kommen, wenn man mittags ein Geschäftsmeeting hat und nachmittags ohnehin zum
Flughafen muss. »Wir sind ja im Ruhrgebiet und haben eine hohe |174| Verkehrsdichte«, so Pressesprecherin Silke van Os: »An solchen Tagen nutzen die Kollegen diese Zeitreserven, um von zu Hause
aus arbeiten zu können.« Solch ein Kollege ist Peter Willmes, Marketingdirektor, der die Flexibilität bei Stryker jeden Tag
lebt: »Das geht damit los, dass wir in Duisburg eine Büronummer haben, die wir aber auf unsere Mobiltelefone umleiten. Das
heißt, der Anrufer merkt gar nicht, dass ich nicht im Hause sitze. Ich bin überall erreichbar.« Wenn er unterwegs ist, kann
er sich mit seinem Rechner entweder über W-LAN oder Modemkarte – oder von zu Hause mit einem schnellen DSL-Zugang – ins Firmennetzwerk
einwählen: »Ich habe Zugriff auf alle Daten und kann sogar einem Mitarbeiter ein Dokument direkt auf seinen Drucker schicken,
wenn es sich um etwas Vertrauliches handelt.« Er habe also von zu Hause oder im Hotel alle Funktionen, so als ob er im Büro
wäre.
Möglich wird dies auch dadurch, dass bei Stryker »eigentlich nichts mehr papierseitig stattfindet – wenn zum Beispiel eine
Rechnung reinkommt wird sie gescannt, geht in ein automatisches Ablaufsystem ein und ich kann sie von unterwegs über das Netzwerk
freigeben.« Willmes ist seit acht Jahren im Unternehmen, das immer schon auf Flexibilität gesetzt habe, aber »im Endeffekt
funktioniert diese Mobilität erst seit etwa zwei Jahren wirklich professionell, weil man wegen der schnelleren Zugänge mit
DSL, W-LAN und Blackberrys jetzt nahezu keine Geschwindigkeitsunterschiede mehr feststellt.«
Der klassische 9-to-5-Arbeitstag ist für
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