Morgen komm ich später rein
Kofferraum.« Außerdem gab es damals weder schnelle, günstige, sichere und drahtlose Internetverbindungen noch Kollaborations-Software |181| oder Smartphones mit E-Mail-Empfang. Jay Chiat hat vieles absurd falsch gemacht, aber selbst mit einem weniger unrealistischen
Konzept hätte er 1994 wohl nur scheitern können. Wie es heute anders geht, sieht man zum Beispiel im niederländischen Tilburg.
Teure Leuchten und Stuhlunikate, lange Küchentische und große Ohrensessel lassen die Zentrale der Interpolis-Versicherung
wie eine Design-Hotellobby wirken. Kein Wunder – acht niederländische Gestalter und Künstler haben je einen Teil des 7 000
Quadratmeter großen, »Tivoli« genannten Bereichs der Tilburger Repräsentanz gestaltet. Doch das Gebäude sieht nicht nur gut
aus. Dank der ausgefeilten flexiblen Bürostruktur sparte Interpolis 51 Prozent Arbeitsfläche, 33 Prozent Bau- und Ausstattungsinvestitionen
sowie 21 Prozent der laufenden Nutzungskosten. Vor allem aber verjüngte sich das einst biedere Firmenimage. Mitarbeiter zu
finden ist – anders als vor einigen Jahren – heute kein Problem mehr.
Die gesamte ehemalige Kantine wurde in einen flexiblen Arbeits-, Besprechungs-, Essens- und Entspannungsbereich umgewandelt,
nach dem Vorbild einer Stadt gibt es Plätze und Straßen sowie Konferenz- und Ruheräume, Fernsehecke und Billardtische. Damit
reagierte Interpolis auf die veränderte Funktion des Büros, das in Zeiten von flexibler und mobiler Arbeit eher zu einem Ort
der Begegnung wird. Mitarbeiter nehmen morgens Laptop und Mobiltelefon, suchen sich den Arbeitsplatz für den Tag. Statt Unterlagen
von gemeinsamen Projekten und Arbeitsvorgängen, die früher im Schreibtisch deponiert waren, gibt es heute gemeinsame elektronische
Ordner und virtuelle Datenbanken, die für alle zugänglich sind. Trotz teuren maßgeschneiderten Designs geriet das Tivoli aufgrund
der Platzersparnis ein Drittel billiger als ein konventionelles Büro für dieselbe Mitarbeiterzahl.
Der Kopf hinter diesem revolutionären und zukunftsweisenden Konzept war Gijs Nooteboom von der Beratungsfirma Veldhoen & Company.
Im Interview erklärt er mir, warum das Interpolis-Konzept stellvertretend für alle künftigen Bürogebäude steht und wieso wir
im Grunde altmodische Büros trotzdem noch brauchen:
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Herr Nooteboom, was war die Grundidee bei Ihrem Entwurf für die Versicherungsgesellschaft
Interpolis?
Gijs Nooteboom: Wir vertreten die Philosophie, dass jeder Mensch überall und zu jeder Tageszeit arbeiten kann. Dass man sich nicht auf personengebundene
Arbeitsplätze konzentrieren soll, sondern auf Aktivitäten. Man arbeitet mal konzentriert und individuell. Oder mal gemeinsam
– das kann virtuell passieren oder mit physischer Anwesenheit. Auf der Basis der Analyse dieser Aktivitäten entwerfen wir
Arbeitsumgebungen. Das machen wir für Rathäuser, Schulen, Krankenhäuser, Banken oder eben Versicherungen wie Interpolis.
Einzelbüros spielen dabei offenbar keine Rolle mehr?
Nooteboom: Nein. Es gibt bei Interpolis offen gestaltete Arbeits-Stockwerke sowie ein großes Begegnungs-Stockwerk – die Plaza, die von
Künstlern unterschiedlich gestaltet wurde. Dort kann man essen, Kaffee trinken und in großen oder kleinen Gruppen diskutieren.
Die Mitarbeiter werden sozusagen freigelassen in Umgebungen, wo es keinen eigenen Schreibtisch mehr gibt, wo man fast papierlos
arbeitet und es keine Standardarbeitsplätze mehr gibt, sondern lauter verschiedene – immer der Aktivität entsprechend. Sie
brauchen aber auch nicht jeden Tag ins Büro zu kommen. Wenn sie individuell arbeiten, planen sie das vorher und machen es
dann zu Hause, beim Kunden oder am Strand.
Aber im Büro ist man schon noch ab und zu?
Nooteboom: Wegen des sozialen Zusammenhalts soll man bei Interpolis von fünf Tagen – je nach Funktion – zumindest zwei bis drei Tage
im Büro sein. Die Arbeit wird aber nicht wie früher über das Messen der Anwesenheit gesteuert, sondern über den Output, also
die Leistung, die das Unternehmen von den jeweiligen Mitarbeitern erwartet. Das ist eine grundsätzliche Änderung, das hat
Zeit und Training gebraucht – bei den Arbeitnehmern, aber noch mehr bei der Leitung. Denn was ist jetzt die Aufgabe des Managements?
Nicht mehr zu checken, ob jemand da ist, sondern den Output zu definieren und zu kontrollieren. Es braucht Monate, um das
in die Kultur eines Unternehmens zu
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