Morgen komm ich später rein
Mitarbeiter die zeitliche Emanzipation vom Bürozwang geschafft und die technischen Möglichkeiten zur räumlichen
Unabhängigkeit gemeistert, bedeutet die ins Extrem gesteigerte Konsequenz dieses Modells, dass Sie tatsächlich arbeiten können,
wann und wo Sie wollen. Und zwar nicht nur zwei Tage pro Woche von zu Hause aus oder zwischendurch mal ein paar Stunden im
Park oder im Café. Sondern zum Beispiel an der italienischen Riviera. Oder in der malerischen Normandie. In beiden Regionen
haben sich Dörfer mithilfe von DSL-Leitungen in denkmalgeschützten Häusern und durch W-LAN-Netz verbundene Bauernhöfe bereits
auf die neue Generation nomadischer Freiangestellter vorbereitet, die abseits der Großstädte Naturfrieden mit Leistungseffizienz
verbinden wollen.
Coletta di Castelbianco, ein mittelalterliches Städtchen an der |218| italienischen Riviera, gilt schon seit einiger Zeit als Vorzeigebeispiel der komplett breitbandig angebundenen Idylle, in
der aus den Großstädten geflohene mobile Wissensarbeiter das Landleben mit hochqualifizierten Jobs verbinden. Zevillage in
der Normandie hat sich sogar auf dem Ortsschild in »zevillage.net« umbenannt und rühmt sich, Frankreichs erstes Online-Dorf
zu sein. Zwischen Kühen und Treckern leben hier Telearbeiter, die dem hektischen Paris entkommen wollen und lieber bei Mittagessen
und Rosé über Blogs und Downloadraten plauschen.
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|219| Kapitel 14
Anleitung zum Freisein in der Festanstellung
»Arbeit = Das, was man tut, damit man es eines Tages nicht mehr zu tun braucht.«
Alfred Polgar
»Bei der aufgeschobenen Lebensplanung wird es immer
die nächste Belohnung geben, hinter der man her ist, die
nächste Ablenkung, den neuen Hunger, der zu stillen ist. Sie
werden immer zu kurz kommen.«
Randy Komisar
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Trauen Sie sich!
Volker Schriefer war erfolgreich, aber unglücklich. Als Controller in einem internationalen Unternehmen hatte er Personalverantwortung
für einen Bereich mit 25 Mitarbeitern, verdiente hervorragend. Als seine Firma von einem Finanzinvestor übernommen wurde,
festigte das seine Stellung weiter: Bei der Umstrukturierung mussten die Zahlen stimmen, also war Schriefer nun ein noch gefragterer
Mitarbeiter. Und als Mitglied des Managements nahm der damals 34-Jährige sogar an den für Finanzinvestoren üblichen Sonderausschüttungen
teil, »da kam schnell noch mal ein Jahresgehalt oben drauf«, erinnert er sich. Aber Schriefer war nicht zufrieden. Jeden Tag
zehn Stunden im Büro, sich Ausreden einfallen lassen, wenn man mal zwischendurch etwas erledigen wollte, nie den ganzen Urlaub
nehmen und wenn, dann höchstens zwei Wochen am Stück – das Leben zog derweil an ihm vorbei. Eines Tages hatte er genug. Er
kündigte den gut bezahlten Job mit Aufstiegschancen, machte stattdessen |220| einen Fotokurs, buchte ein Ticket nach Buenos Aires und reiste acht Monate lang durch Südamerika, wo er fotografierte und
»erstmal runterkam von dem Stress der letzten Jahre«. Soweit eine Aussteigergeschichte, wie es sie viele gibt.
Doch nach seiner Rückkehr aus Kolumbien merkte Schriefer, dass man als freiberuflicher Fotograf – zudem noch Berufsanfänger
– seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann und er begann, wieder in seinem alten Job zu arbeiten. Nur diesmal für einen
anderen Arbeitgeber und mit maximalen Freiheitsgraden. Heute, mit 36, ist Schriefer abwechselnd eine Woche bei Kunden, deren
Controlling er auf Vordermann bringt und dann einige Tage im Heimbüro, wo er sich seine Arbeitszeit beliebig einteilen kann.
Zwischen Aufträgen hat er auch einfach mal ein paar Tage frei, an denen er sich der Fotografie widmen kann, die er inzwischen
als engagiertes Hobby betreibt. Zum ersten Mal, sagt er, macht ihm seine Arbeit Spaß, weil er sich den Zwängen des täglichen
Schreibtischtrotts, der Büropolitik und den endlosen Meetings weitgehend entziehen kann. Im Interview erzählt er, wie er wieder
Freude an seinem Job gefunden hat:
Sie haben einen sehr gut bezahlten Job als Führungskraft in einem großen
Unternehmen aufgegeben. Was stimmte nicht?
Volker Schriefer: Mir ging die Fremdbestimmtheit auf die Nerven und auch die mangelnde Abwechslung des persönlichen Umfeldes. Damals hätte
ich das aber gar nicht so in Worte fassen können. Diesen Abstand habe ich erst in Südamerika bekommen und endgültig sogar
erst jetzt, wo ich eine neue
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