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Morgen letzter Tag!

Morgen letzter Tag!

Titel: Morgen letzter Tag! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Süß
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entwickelten Welt.
    Doch aus dem Blickwinkel der Armen der Welt, die in den Sweatshops schuften und auf Müllbergen hausen, wären wohl schon wir die Vampire. Wir, das sind die 20 Prozent der Menschheit, die über 65 Prozent der Produktionsmittel verfügen. Und 70 Prozent der Energie verbrauchen. Wir machen den Müll, den die anderen 80 Prozent der Menschheit bitte für Billiglöhne wegräumen sollen. Wir werden immer älter. Gesundheit ist unser höchstes Gut. Und wir sind ständig an unserer Optimierung interessiert. Wir betreiben Denkmalpflege an uns selbst. Die französische Feministin Benoîte Groult schreibt über ihre Entscheidung, sich chirurgisch verschönern zu lassen: » Es hieß also etwas tun, um diesem hinterlistigen Älterwerden entgegenzutreten, ihm ganz energisch den Befehl zu erteilen, erst in zehn Jahren wieder vorbeizukommen. Ich wollte mir einen neuen Kopf leisten. Ich habe entdeckt, dass ich mir selbst mein kostbarstes Gut bin und dass ich dieses unanständig teure Geschenk verdient habe: ein Lifting. Bei der Gelegenheit werde ich auch meine Nase ein bisschen korrigieren lassen« (http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/ 0 , 1518 , 737233 , 00 .html, irgendwann mal).
    Ein jeder sein eigenes Statussymbol. Die Auffassung von Frau Groult ist längst Common Sense geworden. Wer heute nicht an seiner Verschönerung arbeitet, darf als seltsam gelten. Im Fitnessstudio strampeln wir gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik an. Und am Strand präsentieren wir stolz das Ergebnis unserer Anstrengungen. Muskeln, straffe Bäuche und Pos wirken heute wie Preisschilder. Sie erzählen von der Sorgsamkeit des Bauch-, Beine- und Po-Besitzers, von dessen Disziplin und davon, dass er sich selbst etwas kosten lässt. Weil er es sich wert ist.
    Vampire widerstehen der Zeit, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt für sie nicht. Und genau so soll es auch für uns sein. Glaubt man Ray Kurzweil, dem Computergenie, Firmengründer und Künstliche-Intelligenz-Forscher, dann gibt es bald, schon in 20 Jahren, in unseren Körper eingeschleuste Nanoroboter, die für immerwährende Gesundheit und Jugend sorgen werden. Wir müssen jetzt gar nicht darüber reden, dass solche » Durchbrüche« immer für in 20 Jahren angekündigt werden und dass das damit zu tun hat, dass die Forscher Gelder bewilligt bekommen wollen, aber noch kaum etwas vorzuweisen haben. Und wir müssen auch nicht darüber spekulieren, ob das überhaupt jemals möglich sein wird oder nicht. Tatsache ist, es wird an solche Möglichkeiten geglaubt und es wird daran geforscht. Ob mit Erfolg, werden wir dann sehen. Im Moment ist nur eines klar: Falls es gelingen sollte, dann werden wir endgültig zu Vampiren. Obgleich wir schon jetzt im Durchschnitt gut und gern doppelt so alt werden wie unsere weniger privilegierten Zeitgenossen in den sogenannten Entwicklungsländern. Mit unserer Überalterung liegen wir im weltweiten Trend. Die UN schätzen, dass sich der Anteil der über 60 -Jährigen auf dem Globus, der im Jahr 2000 etwa bei 10 Prozent lag, bis zum Jahr 2050 auf 21 Prozent mehr als verdoppelt. Wir sind gebildeter und verfügen über mehr Macht und Produktionsmittel. Und wir saugen die Armen aus. Und unsere Kinder.
    Nicht so direkt wie die Vampire in den Geschichten ihre Opfer, aber eben indirekt durch Zinsen, durch unmoralisches Ausbeuten von Rohstoffen, durch ungedeckte Kredite auf die Zukunft. Sicher, all das machen die meisten von uns nicht beruflich. Wir sind Lehrer, Verwaltungsangestellte, Fernsehmoderatoren und Diätberater. Und die Chefs von internationalen Großkonzernen werden wohl kaum Zeit finden, in diesem Buch zu blättern.
    Aber sind wir nicht doch mitschuldig? Nun, nicht direkt. Wir saugen indirekt, indem wir einfach unser Leben leben und konsumieren. Aber am Ende ist das im Ergebnis ebenso grausam. Also für den Großteil der Welt stimmt wohl die Analyse, dass Sie, lieber Leser, liebe Leserin, und dass ich, dass wir die Vampire sind. Und deswegen interessieren uns auch die Geschichten über sie, weil sie uns an das erinnern, was uns wirklich wichtig ist. An uns selbst. Sehen wir uns das grobe, jedoch nicht unwahrscheinliche Szenario für die gar nicht so ferne Zukunft einmal an: Noch größerer medizinischer Fortschritt lässt uns noch älter werden, alldieweil wir noch jünger aussehen und noch dynamischer werden, auch im hohen Alter. Kinder werden noch weniger. (Vampire haben auch keine. Sie » adoptieren« quasi immer mal wieder

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