Morgen letzter Tag!
Filmen wohl damals schon etwas leicht Angestaubtes. Der Horror war letztlich ein Ausdruck der Sehnsucht nach der guten alten Zeit.
Inzwischen aber hat sich unser Vampirbild doch recht verändert. Wir haben sozusagen die Seite gewechselt . Anstatt die Vampire als Inkarnation des Bösen zu verwenden, als Hintergrund, vor dem die Helden der Geschichte ihre Abenteuer erleben, ist die Figur des Vampirs selbst in den Vordergrund getreten. Ob in »Gespräch mit einem Vampir« und den darauffolgenden Romanen von Anne Rice sowie den jeweiligen Verfilmungen, ob in der Fernsehserie » The Vampire Diaries«, ob in » Underworld« oder der endlos erfolgreichen Teenager-Schmacht-Reihe »Twilight« mit ihren unzähligen Epigonen– überall sind die zentralen Figuren jetzt die Blutsauger selbst. Gern umwölkt von ein wenig Melancholie. Was ist denn da passiert? Warum interessieren wir uns jetzt für das Innenleben der Leblosen?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, wird es richtig sein, sich in Erinnerung zu rufen, was den Vampir ausmacht:
Er ist alt, sieht aber nicht alt aus. Da er so alt ist, hat er Erfahrung und Wissen angesammelt. Er hat den Habitus von einem, der aus der sozialen Oberschicht kommt und gern in üppigen Anwesen lebt, die freilich tagsüber verdunkelt werden müssen. Denn er lebt nur nachts. Und was tut er des Nachts? Er hat seine Machthändel mit anderen Vampiren. Er besaugt die Sterblichen und er hat immer Sex. Gern wird der moderne Vampir gezeigt, wie er sich auf Lack- und Leder-Partys räkelt, denn sein Leben ist eine einzige Party.
Und– ganz wichtig– er arbeitet nicht!
Und– ebenso wichtig– er hat keine Kinder! Nur auswechselbare Gefährten oder Gespielinnen, die er aus Langeweile oder auch aus Grausamkeit zu Vampiren macht.
Kurz, der Vampir ist eine Sehnsuchtsfigur, die das Leben lebt, das die meisten von uns anstreben! Oder genauer die Sehnsuchtsfigur, die uns die Wunschmaschine immer vorgaukelt. Jung, gesund, reich, nicht arbeitend, kinderlos.
Die Mitmenschen sind für den Vampir Objekte der Gier. Wenn sie ausgesaugt sind, sucht man sich neue. Und dann hat man unablässig Orgasmen. Der Vampir ist eine Karikatur der Erbengeneration.
Als ich einmal in Schwabing an einer Bar vorbeiging, lief vor mir ein Paar, es waren britische Touristen, und ich konnte nicht umhin, ihr Gespräch zu belauschen. Sie, eine aparte ältere Dame, fragte, was das wohl für Menschen seien, die in eine solche Bar gingen, und ihr Mann antwortete in gepflegtestem Englisch: » Rich Kids, eating up their parents houses.« Oder eben Vampire, jetzt gesehen aus dem Blickwinkel des gehobenen Mittelstands, der unwillig die soziale Leiter nach oben blicken muss, um das dekadente Treiben der nutzlosen Erbengeneration zu bestaunen. Am radikalsten ist dieser Archetyp unserer Gesellschaft wohl in der berüchtigten Satire von Bret Easton Ellis’ »American Psycho« dargestellt worden, in der ein nur auf Äußerlichkeiten fixierter Yuppie zahllose Frauen aus Überdruss sadistisch ermordet.
Doch die Vampire besetzen längst nicht mehr nur den Wesensraum der exzessiven Überschreitung, um die Spaßgesellschaft abzubilden. Der moderne Vampir schlechthin ist Edward aus der »Twilight«-Reihe. Er steht für den zeitgenössischen, um sich selbst besorgen Konsumenten. Edward ist der Vampir, der nicht beißt. Die vorher exzessive Sex- und Saug-Tätigkeit ist bei ihm auf Händchenhalten und Sich-tief-in-die-Augen-Blicken reduziert. Er ist der Vampir » light«! Das Äquivalent für Cola ohne Zucker, Kaffee ohne Koffein, Sahne ohne Fett oder Bier ohne Alkohol. Denn eines der Probleme unserer auf Genuss fixierten Kultur ist ja, dass der Genuss eine ungesunde Schattenseite hat. Genießt man allzu ausführlich, dann wird man fett, krank und hässlich. Das aber wiederum darf man nicht, weil man dann für den Sexmarkt unattraktiv wird. Verzicht aber ist uns Konsumenten auch nicht erlaubt. Also verhalten wir uns wie Edward. Wir simulieren den Genuss, so wie Edward die Simulation eines Vampirs darstellt. Frei nach den Motto: Iss kein Abendbrot! Das macht nur fett. Wir Vampire stehen zwar an der Spitze der Nahrungskette, müssen aber dennoch den Verzicht zu unserem obersten Gebot machen, weil uns sonst die Lust das Leben verkürzt. Und Lebensverlängerung ist unsere erste Pflicht, obwohl dabei aus dem Blick gerät, wofür man denn nun eigentlich leben soll. Der Vampir ist also auch hier ein Bild für die um sich besorgte Oberschicht der
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