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Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Titel: Morgen wirst Du frei sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Martini
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liebsten ins Gesicht gesprungen, versuchte aber, ruhig zu bleiben. »Welche Angaben?«
    »Setzen Sie sich doch!«, lud Thea ihren Gast ein. »Kaffee? Tee? Wasser? Saft? Bier?«
    Ich drängte mich an den beiden vorbei, bebend vor Zorn. »Wir sind doch hier nicht in einem Bistro!«, murmelte ich kaum hörbar. Und lauter: »Brauchen Sie meinen Personalausweis?«
    Als der Polizist nach nur wenigen Fragen, aber mit einer ausgiebigen Brotzeit im Magen gegangen war, blieb ich am Tisch sitzen. Vor mir die Kopie meiner Aussage. Viel, das erkannte ich nun, wusste ich nicht über Jessica. Nicht einmal die Adresse ihrer Eltern. Ich hatte darum gebeten, wollte mich mit ihnen in Verbindung setzten, mich erkundigen, ob ich helfen könne. Doch der Beamte hatte nur den Kopf geschüttelt. Datenschutz, erklärte er mit wichtiger Miene, gelte über den Tod hinaus.
    Es war gefallen, das Wort, vor dem ich so Angst hatte.
     

11. Kapitel
     
    Die Krokusse, die Thea im Herbst gepflanzt hatte, blühten gelb und lila, der Schnee war zu Dreckhaufen geschmolzen. Die Sonne wärmte, der Himmel veränderte die Farbe von kaltem Pastell zu kräftigem Azur, Knospen an den Hasennusssträuchern brachen auf, die ersten Vogelstimmen belebten den Morgen.
    Jessica blieb unauffindbar.
    Im Internet wurde eine Suchaktion gestartet, doch niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Nicht einmal die üblichen Falschmeldungen von Wichtigtuern und Trittbrettfahrern gingen ein.
    Der Polizist rief bei mir an, um sich nach den Einzelheiten zu erkundigen, die er bei seinem Besuch abzuklären vergessen hatte, den Weg nach Kleinspornach aber ersparte er sich. Jeden Tag, erklärt er mir, verschwänden Menschen. Eine ganze Menge sogar. Das sei »normal«.
    Dann hörte ich nichts mehr.
     
    Der Alltag um mich herum nahm seinen gewohnten Lauf. Ich dagegen schien auf der Stelle zu stehen, mit angehaltenem Atem lauschend zu verharren.
    Ich fuhr zur Uni, verrichtete meine Tätigkeiten in der Buchhandlung, kümmerte mich zu Hause um Handwerkliches, schrieb Seminararbeiten, besuchte Podiumsdiskussionen und Lesungen. Ich las Bücher mechanisch, ohne dass die Fantasie in mir geweckt wurde, die mich gewöhnlich in eine Geschichte eintauchen ließ, so tief, dass ich oft nicht mehr wusste, wo und wer ich war.
    Allem, was ich tat, fehlte jede Emotion. Ich tat Dinge, weil ich sie tun musste oder aber tun sollte. Pflichtbewusst. Nicht selten verließ ich eine Veranstaltung und hatte keine Ahnung, was das Thema gewesen war, wen ich getroffen, mit wem ich mich unterhalten hatte.
    Ich existierte. Das Leben fand ohne mich statt.
     
    Thea und ich lebten nebeneinander her. Wir fuhren gemeinsam in die Stadt zum Einkaufen, besprachen Dinge, die zu erledigen waren, und schwiegen uns beim Essen an. Sie hatte es aufgegeben, mich in ein Gespräch verwickeln zu wollen. Ich aß, nahm meinen Teller und mein Besteck, brachte beides in die Küche und ging in mein Zimmer. Unsere Fernsehabende reduzierten sich auf die Tagesschau, auf Filme hatte ich keine Lust, Krimis verursachten mir Übelkeit.
    Sie verschwand hin und wieder mit ihrem Fahrrad, war abends zurück, ohne ein Wort der Erklärung. Ich fragte ein- oder zweimal nach, erhielt jedoch keine Antwort.
    Es war mir egal.
     

12. Kapitel
     
    »Geile Achterbahn, in der du da sitzt. Aber langsam sollte das Ding auch mal wieder auf Nordkurs gehen, oder?«
    Ich fuhr zusammen. Wie fast jeden Tag saß ich in der Buchhandlung im Hinterzimmer am Computer. Ich war so vertieft in meine Gedanken, dass ich weder gehört hatte, dass jemand den Raum betreten, noch wahrgenommen, dass diese Person am Schreibtisch gegenüber Platz genommen hatte.
    »Wie lange willst du diesem zugegebenermaßen süßen Schneckerl eigentlich noch nachtrauern? Auch andere Mütter haben hübsche Töchter!«
    Ich starrte diesen sonderbaren Typen an. Irgendwoher kannte ich ihn. Bunt gefärbte, an den Schläfen rasierte Haare, Piercings über das ganze Gesicht verteilt, zerfetzte Jeans von undefinierbarer Farbe, ein labbriges T-Shirt mit offenem, ausgeblichenem Karohemd darüber.
    »Sag bloß, du weißt nicht, wer ich bin?«, lachte er. »Übersehen konntest du mich wohl kaum. Eher hast du mich ignoriert. Weggeschaut, weil allein mein Anblick für den Geisteswissenschaftler mit Stil und Intellekt unerträglich ist. Stimmt´s?«
    Ertappt. Ich traf ihn hin und wieder in Seminaren und Vorlesungen. Er fiel auf, natürlich. Und ich hatte ihn übersehen - weil ich ihn übersehen

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