Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
einen Zug, also eine Stunde später, verschiebt sich mein Feierabend um mehr als zwei Stunden, weil ich den Zug, den ich nehmen würde, nicht erreichen kann.« Ich verhaspelte mich, wurde rot.
Thea schüttelte den Kopf. »Habe ich nicht verstanden, aber du wirst es schon wissen. Das bedeutet, du isst unterwegs?«
»Im Verlag gibt es eine Kantine. Abends hole ich mir was in einer Bäckerei oder an einem Stand am Hauptbahnhof.«
Ich stand auf, begann, auf und ab zu gehen. »Wie auch immer, verlasse ich bei Dunkelheit das Haus und komme nachts heim.« Ich tat, als müsse ich überlegen. »Sinn macht das nicht wirklich. Zum Lernen komme ich praktisch gar nicht mehr. Ein Zimmer in München würde mir viel an Reisezeit ersparen.« Ich warf einen Seitenblick auf Thea, die - den Blick in die Ferne gerichtet - in Gedanken versunken schien. »Ich meine, das Examen schreibt sich nicht von allein. Und dann der Job als Werkstudent, da habe ich Leistung zu bringen. Es wird niemanden interessieren, ob ich vorher in der Uni war und danach lernen muss.«
Ich nippte an meiner Tasse. Ließ meine Worte wirken.
Thea schwieg.
15. Kapitel
»Wow!«, tönte es hinter mir, als ich nach einigen arbeitsintensiven Wochen im Verlag das erste Mal die Treppe zum Vorlesungssaal hinauflief. »Der Herr Verlagsmanager gibt sich die Ehre.«
Ich erkannte die Stimme, verzögerte und griff mir theatralisch an die Stirn. »Termine, Termine, Termine. Sie wissen ja, wie das ist, Herr ...« Ich drehte mich um und staunte. »Selber wow!«
Zecke hatte seinen bunten Hahnenkamm abschneiden und die restlichen Haare schwarz färben lassen. Alle Piercings waren verschwunden.
»Wo ist Zecke?«, fragte ich.
Er lachte. »Nicht nur du hast einen seriösen Job.« Sein Blick glitt an meinem Anzug auf und ab.
»Ich muss nachher ins Büro. Eine Besprechung mit einem Kunden, bei der ich Mäuschen spielen darf«, erklärte ich verlegen.
»Klar«, erwiderte Zecke grinsend. »Karriere machen. Ich doch auch.«
»Erzähl!«
»Heute Abend bei einem gepflegten Bierchen?«
»Jepp.«
»See you.«
Nach der Vorlesung winkte mich der Dozent mit dem Zeigefinger zu sich. Ich packte meine Unterlagen zusammen und ging zum Pult hinunter.
»Welches Thema für ihre Master-Thesis haben Sie sich überlegt?«
Ich stutzte. Professor Heintzmann war für seine brüske Art bekannt, aber auch dafür, sich intensiv um seine Studenten zu kümmern. Ihn als Betreuer zu gewinnen strebten viele meiner Kommilitonen an, wenn sie eine gute Arbeit abgeben und nicht einfach nur ihr Studium hinter sich bringen wollten..
»Ich weiß noch nicht recht ...«
Er fixierte mich durch seine starke Brille. »Wann werden Sie es denn wissen?«
»Ich hatte vor, mich im Lauf dieses Semesters zu entscheiden. Es hängt davon ab, wie ...«
Er unterbrach mich. »Schon eine grobe Richtung im Auge?«
»Ich würde gern ein praxisbezogenes Thema wählen. Mir schwebt etwas vor, was ich dem Verlag anbieten kann, für den ich arbeite ...«
»Verkaufen«, knurrte er.
»Ja, warum nicht?«, entgegnete ich selbstbewusst und erschrak, als ich meinen Tonfall hörte. Du traust dich was, dachte ich. Du solltest dich nicht mit ihm anlegen. Zicke nie einen Prof an, der dich benoten wird.
»Legen sie mir ein fünfseitiges Exposé vor, vielleicht haben sie ja Glück und es weckt mein Interesse.« Damit wandte er sich ab und ließ mich stehen.
Zecke hörte meinem Wortschwall lächelnd zu, nahm gelegentlich einen Schluck von seinem Bier und steckte sich die letzten Pommes in den Mund. Mein Essen war längst kalt geworden.
»Und dann will auch noch der Heintzmann mein Betreuer werden«, schloss ich und lehnte mich zurück. »Und jetzt erzähl du.«
Zecke schob seinen Teller weg, beugte sich über den Tisch. »Erinnerst du dich an die Achterbahn?«
Ich nickte.
»Gut.«
Ich war irritiert. »Ist das alles? Kein weiterer Kommentar?«
»Wozu? Du weißt und spürst selbst, dass alles läuft wie nie zuvor. Dass deine Bahn nach oben rast. Dass du dich total verändert hast. Jessica war der Anfang. Sie hat dich aufgeweckt. Das Drama ihres Verschwindens hat dich total fertiggemacht, aber da war schon so viel mit dir passiert, dass das, was jetzt geschieht, nur noch logisch war. Du musstest deine Chancen nur sehen wollen, um sie ergreifen zu können.«
Jessica. Ich hatte immer seltener an sie gedacht. Sie war verschwunden aus meinem Leben, und ich hatte sie abgehakt. Ich schämte mich.
»Wo ist sie?«,
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