Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
andere Hilfsarbeiten eingesetzt, sondern bekommt in den meisten Firmen anspruchsvolle Aufgaben, bei denen man etwas lernen und sich nützlich machen kann. Außerdem kommt es auf das Unternehmen an und darauf, ob es ein Pflichtpraktikum oder ein freiwilliges ist. Viele schicken einen mit einem Taschengeld nach Hause und lassen einen schuften bis zum Umfallen.«
»Kaum zu glauben.« Thea überlegte. »Und sonst? Gibt es sonst was Neues? Du hast wenig erzählt in letzter Zeit.«
Ich dachte an Zecke und schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts.«
Am nächsten Morgen traf ich ihn in der Vorlesung. Er lehnte lässig an der Wand und unterhielt sich mit einem Doktoranden. Ich nickte ihm zu und suchte mir einen Platz am Rand. Als der Dozent den Saal betrat, wurde das Licht gedimmt, die Gespräche verebbten.
Zecke glitt neben mich. »Rutsch mal!«
Ich klemmte meine Tasche zwischen die Füße und rückte einen Sitz weiter.
»Na? Alles klar?«, fragte er.
»Natürlich!«, raunte ich.
»Natürlich«, grinste Zecke zurück.
Ich schämte mich.
Am Abend holte er mich vor der Buchhandlung ab. Er stand einfach da, betrachtete das Treiben auf der Straße, wartete. Wir gingen in wortlosem Einverständnis zu unserer Kneipe, setzten uns an den Tresen und bestellten Bier und Clubsandwiches.
»Willst du erzählen? Oder soll ich?«, mampfte er zwischen zwei Bissen.
»Mach mal!«, erwiderte ich.
»Okay. Meine Schwester heiratet. So einen Banker, der mit Millionen und Milliarden rummacht und Rentner um ihre Kohle bescheißt. So ein Kapitalistenarschloch halt, weißt schon.«
Ich nickte. »Wenn sie ihn liebt?«
Zecke prustete. »Liebe? Vergiss es. In meiner Familie zählt nur, wer was hat und wer wem was bringt. Entsprechend wird sich verliebt.«
»Traurig.«
»Jepp. Aber sag mal, wie geht´s dir denn so?«
Ich erzählte von meinem neuen Job. Und dann, ohne es zu wollen, von einer Idee, über die ich selbst noch gar nicht nachgedacht hatte. Eine Idee, die zu verfolgen ich mir verboten hatte.
»Ich würde mir gern eine Bude in München suchen.«
»Okay. Wo ist das Problem? Außer dass du vermutlich keine bezahlbare finden wirst.«
»Na ja, ich weiß nicht, ob das bei Thea so positiv ankommt ...«
»Wer ist Thea? Deine Mutter?«
Ich zögerte einen Augenblick zu lange, bevor ich nickte.
»Was jetzt?«
»Ach Zecke, das ist alles nicht ganz so einfach.« Ich schob den halbvollen Teller von mir.
Er lachte. »Wenn du nicht sicher wärst, wer Dein Vater ist, könnte ich es verstehen. Aber seine Mutter kennt man normalerweise.« Er zwinkerte. »Oder ist das in deinen Kreisen anders?«
»Na ja, sie ist nicht wirklich meine Mutter. Sie ...« Ich rang um die passenden Worte. Worte, die nichts verrieten, aber manches erklärten.
»Deine Stiefmutter?«
Ich seufzte erleichtert. »So was, ja.«
Zecke schwieg, runzelte die Stirn.
Im Zug nach Hause starrte ich auf die Fensterscheibe, in der sich mein Gesicht vor der vorbeifliegenden Finsternis spiegelte. Ich war bleich, sah krank aus. Oberhalb der Nasenwurzel hatte ich zwei senkrechte Falten. Die Augenbrauen gerunzelt, die Augen matt, der Blick leer.
Ich schaute weg.
Mein Leben begann im Chaos zu versinken. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Geheimnisse. Zum Lügen war ich nicht gemacht.
Ich streckte den Rücken, dehnte meine verspannten Schultern. Auf ihnen lastete der Druck, wie es schien. Mir war klar, ich musste etwas unternehmen. Aber was? Wenn ich ehrlich war, hieß mein Problem Thea. Aber ich konnte doch nicht schon wieder einen Menschen töten?
Nachdenklich stieg ich aus, schloss mein Auto auf und ließ mich auf den Fahrersitz fallen. Welche Möglichkeiten boten sich mir? Reden. Ich würde mit Thea reden.
Ich hatte Angst davor. Und doch keine andere Wahl.
14. Kapitel
Die Gelegenheit für ein Gespräch mit Thea ergab sich am folgenden Samstag. Wir hatten im Garten gearbeitet und saßen nun mit einer Tasse Kaffee auf der Bank, die ich gebaut hatte. Schauten über die frischen Beete, in denen Salate und Gemüse wachsen sollten, und waren zufrieden.
»Wann wirst du denn nach Hause kommen, wenn du nächste Woche Dein Praktikum beginnst?«
Ich wurde aufmerksam. Da war sie, die Vorlage, die ich benötigte. Jetzt galt es, klug zu argumentieren.
»Das muss ich mir noch überlegen. Wenn ich den Zug um zwanzig nach sechs nehme, sitze ich pünktlich um acht Uhr am Schreibtisch. Zurück wäre ich allerdings nicht vor neunzehn Uhr. Fahre ich morgens
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