Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
flüsterte ich. »Was denkst du? Was ist passiert?«
»Willst du´s wirklich wissen?«
Ich nickte.
»Ich bin davon überzeugt, dass sie tot ist«, sagte Zecke ernst.
»Scheiße. Jemand hat sie umgebracht, oder?« Tränen traten mir in die Augen.
»Ja. Tut mir leid.«
Ich schniefte, griff nach meinem Glas, trank und verschluckte mich. Hustend, keuchend und heulend wurde mir klar, dass ich auch an eine andere Person keinen Gedanken mehr verschwendet hatte: meine Mutter.
In dieser Nacht lag ich wach. Ich hatte genug von diesem Leben, genug davon, zu funktionieren. Thea hatte mir zu Beginn ein ganz neues Gefühl von Freiheit und Geborgenheit vermittelt. Ich hätte mich daran gewöhnen können, wäre da nicht die Angst. Angst davor, dass jemand nach meiner Mutter fragen und suchen könnte. Angst, dass das Moor ihre Leiche freigeben würde.
Und Angst vor Thea.
Jessica hatte mir während unserer kurzen gemeinsamen Zeit gezeigt, dass es eine Welt außerhalb der gibt, in der ich so lange gefangen gewesen war. Ich hatte Gefallen an dieser Welt gefunden und nicht mehr in meine eigene zurückgefunden. Tag für Tag war ich ihr Stück für Stück entwachsen. Ich traf täglich neue Menschen, lernte, mit ihnen umzugehen, schöpfte aus jedem Kontakt Selbstvertrauen. Und das sorgte für Konflikte.
Ich lag in meinem schwankenden Bett, spürte, wie sich eine bedrohliche Welle über mir aufbaute, hörte das Brausen tonnenschwerer Wassermassen, bevor sie brechen und alles unter sich begraben. Mein Kopf dröhnte, meine Arme und Beine wurden eiskalt, zitterten.
Panisch sprang ich aus dem Bett und rannte in den Garten. Dort stand ich barfuß und starrte in den mondlosen Sternenhimmel.
So konnte es nicht weitergehen. Ich brauchte eine Lösung. Ich brauchte Hilfe.
Ich ging ins Haus und suchte nach meinem Handy. Wählte eine Nummer. Wartete.
»Wer stört?«, meldete er sich gut gelaunt.
»Chris.«
»Hey, warum schläfst du nicht?«
»Ich kann nicht. Du ... Du musst ... Ich brauche deine Hilfe. Bitte.«
Zecke zögerte keine Sekunde. »Kannst du herkommen? Ich bin in der Klinik.«
Ich zog mich an, griff nach meiner Tasche und dem Autoschlüssel und zog die Haustüre hinter mir ins Schloss.
16. Kapitel
Ich beschrieb das zunehmende Gefühl der Abhängigkeit von Thea, das mich immer öfter daran denken ließ, die Koffer zu packen. Den Druck, der mich nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Dass ich wegwollte, aber nicht konnte, weil ich Thea nicht verlassen durfte. Ich erzählte, wie sie mir nachspioniert hatte, wie sie auf Jessica und mich vor der Uni gewartet hatte und darauf gedrängt hatte, sie kennenzulernen.
Ich redete mir alles von der Seele. Fast alles. Die Tatsache, dass Thea nicht meine Mutter, sondern eine Zeugin und Erpresserin war, verschwieg ich.
Und ich behielt für mich, dass ich meine Mutter erstochen und im Moor versenkt hatte.
Als ich fertig war, herrschte minutenlange Stille in dem kleinen Bereitschaftszimmer, in das Zecke und ich uns zurückgezogen hatten.
»Hm. Einiges verstehe ich gut. Vieles klingt lösbar. Anderes, ich muss es so sagen, total unplausibel. Warum kannst du nicht gehen? Du verdienst Dein eigenes Geld, finanzielle Abhängigkeit fesselt dich also nicht an deine Mutter.« Er schaute auf. »Stiefmutter. Oder was auch immer.«
Ich schwieg.
»Warum willst du sie nicht allein lassen? Hättest du das Gefühl, sie im Stich zu lassen? Kommt sie nicht klar ohne dich? Ist sie krank?« Zecke streckte sich. »Du musst dir die richtigen Fragen stellen. Und sie beantworten. Ich habe den Eindruck, du bist nicht ehrlich zu dir selbst. Mir Dinge zu verschweigen ist okay, aber dir gegenüber solltest du das nicht tun.«
Mein Kopf schien zu platzen. Ich musste raus hier, brauchte Luft. Zecke spürte mein Bedürfnis, stand auf und ging zur Tür. Er drehte sich um.
»Du gehst in den Park und kühlst Dein Gehirn ab, ich gehe meine Napoleons wecken.« Er sah auf die Uhr. »Um sieben gibt es Frühstück, wenn du magst.«
Die Sonne war bereits aufgegangen, die letzten Spuren von Pastell wichen blendender Helligkeit. Ich kniff übermüdet die Augen zusammen. Mein Handy klingelte. Thea.
»Sag mal, wo steckst du denn um diese Zeit?«, blaffte sie, kaum dass ich mich gemeldet hatte. »Kannst du keine Nachricht hinterlassen? Komm heute Abend früher als sonst nach Hause, ich habe mit dir zu reden.«
»Ja. Klar. Mache ich«, flüsterte ich, als die Leitung bereits tot war. Ich steckte das
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