Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
Nachricht.« Damit erhob er sich. Eine Armbewegung Richtung Tür entließ mich.
Frustriert stieg ich in die U-Bahn und fuhr zum Verlag. Dort suchte ich mir einen freien Schreibtisch, startete den Computer. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Zahlen, die vor meinen Augen verschwammen, und Gedanken, die sich nicht ordnen ließen.
Mein Leben hatte eine Dynamik bekommen, die ich nicht kontrollieren, nicht einmal verstehen konnte. Ich war ein Fahrgast ohne Einfluss, mehr nicht. Jeder Versuch, die Notbremse zu ziehen oder die Türen zu öffnen, war zum Scheitern verurteilt.
Ich stützte den Kopf auf die Hände und starrte auf die Tastatur. Dem F fehlte der obere Querstrich, die linke Shift-Taste war blank.
Sollte ich dem Anwalt, dieser Kunstfigur mit Erfolgsgarantie, vertrauen? Hatte ich eine andere Wahl? Würde er sich überhaupt herablassen, meinen Fall zu übernehmen?
Ich speicherte die Datei, in der ich keine Änderungen vorgenommen hatte, packte meine Sachen und ging.
An diesem Abend schlenderte ich ziellos und doch getrieben von Unruhe in der Fußgängerzone umher. Betrat ein Sportgeschäft, irrte durch die Abteilungen, blieb stehen und wusste plötzlich, was ich suchte. Ich kaufte mir ein Paar Laufschuhe. Zecke, der Psychologe, würde wissend schmunzeln. Was auch immer er mir an Fluchtreflexen attestierte, er läge damit sicher richtig.
Ich wollte nur noch weg.
34. Kapitel
Die Kanzlei Dr. von Hamm, Dr. Schlumpeter & Coll. freue sich, mich als Mandanten begrüßen zu dürfen, und bitte mich, zwecks Klärung der Formalia am Montag um 10:00 Uhr in den Räumen in der Maximilianstraße vorstellig zu werden.
Ich reichte den Brief über den Tisch. Zecke befühlte das Papier, hielt es gegen das Licht und brummte anerkennend.
»Da weiß man gleich, wie das den Klienten abgeknöpfte Geld investiert wird.« Er las und nickte. »Jetzt bleibt die Frage, wer das bezahlt. Wie Tom gesagt hat, mit diesem Zuschuss vom Staat kommst du da sicher nicht weit. Damit ist bestenfalls noch eines dieser handgeschöpften Büttenpapiere finanziert.«
Sollte ich mich freuen? Hatte ich Grund, mich gut zu fühlen? Ich wusste es nicht. In mir herrschten Chaos und Ratlosigkeit.
Ich stand auf, ging ins Bad und zog eine Trainingshose, ein altes T-Shirt und ein Sweatshirt an. Dann schnürte ich die neuen Laufschuhe, nahm den Schlüssel und winkte Zecke zu. Er nickte. Mein neues Hobby hatte er ohne Kommentar zur Kenntnis genommen. Keine bissige Bemerkung zu machen bedeutete bei ihm Zustimmung. So gut kannte ich ihn mittlerweile.
Ich lief los Richtung Englischer Garten, wurde eins mit Joggern, Walkern, Spaziergängern mit und ohne Hunde. Die Lunge pumpte, der Puls raste, in den Beinen zog es, irgendwo im Knie zwickte etwas. Ich verlangsamte, fand mein Tempo, trabte den Kiesweg zum See hinunter, ließ den Chinesischen Turm rechts liegen. Ich wollte zur Isar.
Eine halbe Stunde schaffte ich, dann saß ich mit schweren Beinen auf einer Parkbank und beobachtete Rentner beim Füttern der gierigen, sich gegenseitig verjagenden Enten.
Jetzt war mein Kopf leer genug, um zu spüren, was das Schreiben der Anwälte in mir auslöste.
Erleichterung.
Was auch kommen mochte, ich würde keine Geheimnisse mehr hüten, keine Angst mehr haben müssen. Mir war klar, dass das Gefängnis auf mich wartete. Doch diese Aussicht hatte ihren Schrecken verloren angesichts dessen, was hinter mir lag.
Ich stand auf, atmete tief ein, straffte die Schultern. Nun war ich bereit für ein Ende und einen Neuanfang.
35. Kapitel
Die Kanzlei hielt, was ihr Ruf versprach. Zwar traf ich Dr. von Hamm nicht wieder, erfuhr aber, dass sich mehrere junge Juristen und eine ‚Agentur für forensische Beratung‘ kompetent und engagiert um meine Angelegenheit kümmern würden.
Ich hatte einen Stapel Papier ungelesen unterschrieben. Welche andere Wahl hatte ich? Damit begab ich mich in die Hände Dritter, die nun entscheiden würden, wie es mit mir weiterging. Doch hatte ich nicht bewiesen, dass ich es alleine nicht schaffen konnte? Man hatte mir zwar versichert, mich über alle Ermittlungen, Planungen und Schritte in Kenntnis zu setzen, allerdings war mir klar, dass das lediglich bedeutete, dass ich informiert, nicht aber in anzustellende Überlegungen einbezogen würde.
Ich hatte erneut erzählt, Hunderte Fragen beantwortet, Details aus meinem Gedächtnis gekramt, Daten und Fakten niedergeschrieben, mein Wissen und meine Mutmaßungen mitgeteilt. Damit war
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