Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
zieht. Die Fakten können durchaus dahingehend ausgelegt werden.«
»Was?«, rief ich entsetzt. »Ich habe gar nichts geplant, ich weiß ja nicht einmal, was überhaupt passiert ist!« Erregt schnappte ich nach Luft. »Und diese Frau, die mich erpresst und gequält hat, soll meine Komplizin sein? Ist das Ihre Idee?«
»Nicht meine. Die der Staatsanwaltschaft. Ein derartiger Fall ist offenbar noch nie vorgekommen, da will man doch etwas genauer hinsehen. Außerdem wissen wir ja nicht, was Frau Steinbichler ausgesagt hat, nicht wahr?«
Er wurde sich bewusst, dass Kameras auf uns gerichtet waren, straffte sich und schaute zum Haus hinüber, wo nach uns gewunken wurde.
»Seien Sie doch ehrlich, diese Geschichte könnte einen ziemlich außergewöhnlichen Krimi ergeben. Einen, bei dem sich die Leser fragen, was der Autor wohl einnimmt, bevor er zu schreiben beginnt.«
Er lachte laut, legte den Arm jovial um meine Schulter und schob mich zu der Gruppe, die auf uns wartete.
Die nächsten Stunden vergingen mit meinen Erklärungen und Demonstrationen. Als es zu dämmern begann, stellten die Techniker Strahler auf, die die Szenerie in kaltes Licht tauchten. Sieht es so aus, wenn ein Film gedreht wird?, fragte ich mich. Es war surreal.
Ich saß erschöpft mit einer Flasche Mineralwasser auf dem Sofa, bewacht von einem kräftigen Polizisten, der nur auf meinen Fluchtversuch zu warten schien. Mir jedoch fehlte nicht nur der Mut, sondern auch die Energie, zu fliehen. Ich wollte ins Bett. Schlafen, träumen, vergessen.
Der mit Sand gefüllte Sack lag mittlerweile wieder in einem Transporter der Spurensicherung. Ich hatte ihn von der Küche in den Flur und von dort ins Freie gezerrt, wie ich es bei meiner Mutter gemacht hatte. Damals war es einfacher gewesen. Damals waren allerdings auch Kräfte im Spiel, die nur das Adrenalin freisetzen kann.
Die Ermittler unterhielten sich flüsternd, nahmen Maße und Gewichte, notierten sie auf Papier, das in Klemmbrettern steckte, und kamen schließlich überein, keine Fragen mehr an mich zu haben.
Die Fahrt zum Moor wurde abgesagt. Man glaube mir meine Schilderung, bestätigte mir der Staatsanwalt. Sollte ich erleichtert reagieren? Mich freuen, weil ich glaubwürdiger geworden war?
Dr. von Hamm setzte sich neben mich. »Alles so weit bestens. Das einzig Ungeklärte ist nun noch die Zeitspanne zwischen ihrer letzten Erinnerung vor dem Ereignis und der ersten danach.«
Hatte er von einem Ereignis gesprochen? Ich hatte meine Mutter mit mehreren Messerstichen getötet, und mein Anwalt bezeichnete diese Tatsache als Ereignis?
Die Enge in meiner Brust verstärkte sich. Vor meinen Augen tanzten Flocken. Ich begriff nicht, was um mich herum und mit mir geschah. Ich wollte aufspringen, wollte meine Angst, meine Hilflosigkeit herausbrüllen, doch ich bekam keine Luft. Die Flocken wurden zu Sternen, dann zu Schwärze.
Als ich zu mir kam, lag ich auf dem Teppich. Mutters Erbstück. Mein Bewacher hielt meine Beine in die Höhe. Das Rauschen in meinen Ohren übertönte die Stimmen der Menschen, die hektisch durch das Wohnzimmer liefen. Jemand schob mir ein Kissen unter den Kopf.
Ich zog an meinen Beinen, die einzuschlafen drohten. Sie wurden abrupt losgelassen und knallten auf den Boden. »Muss das sein, Sie Idiot?«, hörte ich. Es klang zornig. »Entschuldigung, aber ...« Die Entgegnung verlor sich im allgemeinen Stimmengewirr.
Ich wollte mich aufrichten, wurde aber zurückgehalten. Ein bärtiges Gesicht mit freundlichen blauen Augen war über mir. »Bleiben Sie noch etwas liegen. Kann nicht schaden. Ist Ihnen kalt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nur die Füße. Und Hände.«
»Das ist normal. Sie hatten einen Kreislaufkollaps. Nichts Schlimmes, aber wir haben vorsichtshalber den Rettungsdienst gerufen.«
Der Mann griff nach meinen Händen, wärmte sie in seinen und verlangte über die Schulter nach einer Decke. »Und jetzt raus hier, Leute! Unser junger Freund läuft uns nicht weg, stimmt´s?« Er lächelte mich freundlich an.
Der Notarzt kam schneller als erwartet. Er musste in der Gegend gewesen sein. Er maß meinen Puls und Blutdruck, fragte, wann ich zuletzt gegessen und getrunken hatte. Er rief nach einer Flasche Wasser und etwas Essbarem und gab mir eine Spritze. Dann ordnete er an, mich für diesen Tag in Ruhe zu lassen und mich zurück in die Haftanstalt zu bringen.
»Schluss für heute. Sonst nehme ich ihn mit.«
»Wir sind ohnehin fertig«, knurrte der Ältere
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