Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
stieg aus und war in meinem Albtraum angekommen.
Ein Vollzugsbeamter wies mich an, seinem vorangehenden Kollegen zu folgen. »Sie halten zwei Schritte Abstand und bleiben stehen, wenn er stehen bleibt. Verstanden?«
Ich nickte.
»Verstanden?«, brüllte er mich an.
»Ja, ich habe verstanden.« Tränen schossen mir in die Augen.
»Voran!«, wies mich der Beamte an.
Ich trottete los. Wir betraten das Gebäude durch eine Stahltür, die automatisch geöffnet wurde, als wir uns näherten. Dann schritten wir einen langen Gang entlang bis zu einem Gitter, das der vor mir Gehende mit einem großen Schlüssel öffnete. Wir bogen links ab und betraten einen Raum, der mit einem Tresen unterteilt wurde, auf dem metallene Längsstreben bis zur Decke verschraubt waren. Ein Schlitz, in dem eine leere, etwa aktenkoffergroße Kunststoffkiste stand, diente offenbar als Durchreiche. Der Anblick erinnerte mich an Bankschalter in alten Wildwestfilmen.
Dahinter stand ein weiterer Uniformierter, der mir entgegen sah. Er schob mir die Kiste auffordernd entgegen, entnahm einem Regal ein Klemmbrett und einen Kugelschreiber und nickte meinen Begleitern zu. Die bauten sich links und rechts von mir auf.
»Taschen ausleeren!«, wies mich der Mann mit dem Klemmbrett an.
Ich legte Kleingeld, den Schlüssel zu Zeckes Wohnung und mein Handy in die Box.
»Gürtel.«
Ich zog den Gürtel aus den Schlaufen meiner Jeans.
»Schnürsenkel.«
»Hab keine«, flüsterte ich.
»Herzeigen!.«
Ich hob das Bein.
»Stellen Sie ihre Tasche hier drauf, und setzen Sie sich dort drüben hin.«
Ich tat wie befohlen, trottete zu einer in den Boden geschraubten Holzbank und ließ mich nieder. Meine Wärter leerten meine Sporttasche, begutachteten jedes Kleidungsstück, blätterten meine Bücher durch, rochen an der Duschgelflasche. Der Vollzugsbeamte hinter der Theke dokumentierte unterdessen den Inhalt meines Geldbeutels, notierte die Summe meiner Barschaft und die Nummern aller Karten, die ich bei mir trug. Als er fertig war, griff er zum Telefon und meldete den Eingang als erledigt. Er hörte zu, bestätigte und legte auf. Die beiden Beamten, die mich herbegleitet hatten, verschwanden.
Ich wartete.
Eine viertel Stunde verfolgte ich den Sekundenzeiger bei seinem Rundgang über das Ziffernblatt. Die Uhr an der Wand tickte laut in der Stille. Hin und wieder wurde sie durch das Rascheln von Papier unterbrochen. Der Mann am Tresen las Zeitung.
Unvermittelt ging die Tür auf. Ich konnte nicht sehen, wer eintrat. Die Reaktion meines Gegenübers aber war interessant: Er stand praktisch stramm.
»Guten Tag, Herr Doktor. Ein Neuzugang.«
Ein Zivilist in beigefarbener Hose und weißem Hemd trat ein, nickte knapp, schloss die Tür hinter sich, betrachtete mich nachdenklich. Dann ging er zu einer Tür, die ich bisher nicht wahrgenommen hatte, sperrte sie auf, machte Licht in dem dahinter liegenden Raum und winkte mich zu sich.
»Nehmen Sie Platz.«
Ich setzte mich auf einen Schemel. In dem fensterlosen Zimmer standen nur noch ein mehrere Jahrzehnte alter Schreibtisch mit zerkratzter Tischplatte, ein Drehstuhl mit zerschlissenem Polster und ein Regal, in dem Formulare lagen. Von der Decke hing eine Leuchtstoffröhre, am Tisch klemmte ein ausziehbarer Strahler. Diesen schaltete der Arzt nun an. Er nahm einige Papiere von einem Stapel, zog einen Stift und eine kleine Taschenlampe aus seiner Hemdtasche. Dann ließ er sich auf den Stuhl fallen und zog sich an den Schreibtisch.
»Fangen wir an. Ich habe die Aufgabe, eine Eingangsuntersuchung zu machen. Dazu benötige ich einige Angaben von Ihnen. Anschließend werde ich mir einen zugegebenermaßen oberflächlichen Eindruck von ihrer aktuellen Gesundheit verschaffen. Sollten Sie irgendwelche gesundheitlichen Probleme, körperliche Einschränkungen oder Schmerzen haben, teilen Sie sie mir bitte mit.«
Ich nickte.
Er begann, meine Personalien zu notieren, erkundigte sich nach Krankheiten, Operationen, psychischer Verfassung und anderen Details. Er nahm sich Zeit, ging gewissenhaft vor. Dann hörte er mich ab, maß Blutdruck und Puls, leuchtete in meine Pupillen, die Ohren und den Mund, ließ mich einige Kniebeugen machen und den Zeigefinger mit geschlossenen Augen zur Nase führen.
»Alles bestens«, urteilte er schließlich und erhob sich.
»Wie geht´s jetzt weiter?«, fragte ich schüchtern.
»Sie werden in Ihre Zelle gebracht. Dort richten Sie sich erst einmal ein, essen etwas und kommen zur
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