Morgen wirst du sterben
einer, bis nur noch ein paar Schokoflocken in der Packung waren, und auch die stippte Sophia noch mit dem Zeigefinger auf und leckte sie ab. Zweitausenddreihundertsechsunddreißig Kilojoule.
»Nein danke«, sagte Sophia stolz und wollte sich abwenden, aber dann musste sie wieder an Felix denken. Und daran, dass er sich niemals bei ihr melden würde und sich noch viel weniger in sie verlieben würde. Ganz egal, ob sie für die nächsten zwei Wochen auf Schokolade verzichtete oder für den Rest ihres Lebens.
Sie ging zum Kiosk und brauchte gar nichts zu sagen, denn Herr Sauerbier, der Inhaber, kannte sie gut und wusste, was sie brauchte. Er schob ihr gleich eine Tafel Schokolade über die Theke, sie reichte ihm einen Euro, er gab ihr zehn Cent zurück. »Diese Woche im Angebot«, sagte er und zwinkerte ihr zu, als habe sie etwas gewonnen. Dabei hatte sie verloren.
Sie kochte sich Rooibostee mit Sahne-Karamellgeschmack, stellte die Kanne und eine Tasse auf ein Tablett, legte die Schokolade daneben und wollte alles in ihr Zimmer tragen, als es klingelte. Wahrscheinlich war das Moritz, der wieder mal zu faul war, seine Schlüssel aus der Tasche zu kramen. Mit dem Tablett in der Hand ging sie zur Tür und klinkte sie mit dem Ellenbogen auf.
Es war nicht Moritz. Es war Felix.
Sophias Magen plumpste in ihre Kniekehlen. Die Teekanne auf ihrem Tablett kam ins Rutschen, im letzten Moment hielt Sophia sie auf.
»Moritz ist gerade weg.« Ihre Stimme klang seltsam gequetscht. Seit gestern Mittag dachte sie praktisch pausenlos an Felix, wenn man mal von der Unterbrechung durch die blöde E-Mail absah, und jetzt fiel ihr nichts Besseres ein als dieser lahme Satz.
»Echt? Und du erwartest Besuch?«
»Ich? Besuch?« Ihr Gesicht war so heiß, sie musste knallrot sein. Wahrscheinlich hielt er das für ihre normale Gesichtsfarbe, er kannte sie ja nur mit leuchtender Birne.
»Der Tee.« Felix deutete mit dem Kinn auf Sophias Tablett.
»Ach so. Der Tee ist für mich.« Und die Schokolade auch, dachte Sophia. Die ganze Tafel, deshalb bin ich auch so fett.
»Na dann.« Er zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Gehen.
»Halt, warte doch!« Sophias Stimme überschlug sich vor Aufregung. »Soll ich ihm was ausrichten?«
»Wem?«
»Moritz.«
»Nö. Ich wollte gar nicht zu Moritz.«
Schluck. »Ach so.« Meine Güte, sie war heute wirklich die Schlagfertigkeit in Person.
»Ich dachte, ich schau mal bei dir vorbei, ob du eine Tasse Tee und ein Stück Schokolade für mich hast.«
»Hab ich. So ein Zufall.« Sophia hob das Tablett ein Stück in die Höhe. Die Tasse schlug mit leisem Klingeln gegen die Teekanne, weil ihre Hände so zitterten. »Willst du reinkommen?«
»Och, wenn es dir lieber ist, trink ich den Tee auch gerne im Treppenhaus.«
Sie lachte. »Du darfst in mein Zimmer. Aber nur ausnahmsweise.«
Und dann saß er auf ihrem Schreibtischstuhl und trank Tee, als ob das das Allernormalste der Welt wäre. Und tat so, als ob er sich wohlfühlte. Schade, dass sie ihr Zimmer in den letzten sieben oder acht Jahren nicht mehr aufgeräumt hatte. Auf dem Boden türmten sich schmutzige Klamotten, der Papierkorb quoll über und der Schreibtisch bog sich unter der Last von ungespülten Tassen, Büchern, Ordnern, Tellern, Keksdosen, Abfall.
»Schokolade?« Sie bot ihm die offene Packung an und schob dabei eine benutzte Unterhose so unauffällig wie möglich mit dem Fuß unters Bett.
»Hm. Marzipan. Meine Lieblingssorte.«
»Echt? So ein Zufall. Meine auch.«
Er grinste. Machte er sich über sie lustig?
»Hast du gestern Ärger bekommen?«, fragte er dann.
»Warum denn?«
»Na, weil du zu spät zum Unterricht gekommen bist.«
»Nee. Ich meine, es ging.«
»Hab gehört, dass dein Bruder im Mündlichen eingebrochen ist.«
»Hat er dir das erzählt?« Sie fragte sich, worüber Moritz und Felix noch so sprachen. Ob Felix Moritz erzählt hatte, dass er sie zum Kaffeetrinken eingeladen hatte? Und was hatte Moritz darauf geantwortet? Mein Beileid, du hast doch was Besseres verdient.
»Ja, klar. Wir haben gestern telefoniert. Schade, oder? Hoffentlich reicht die Note noch für die Aufnahme zum Medizinstudium.«
»Hoff ich auch für ihn. Er wird bestimmt ein guter Arzt.« Das war eine glatte Lüge. Tief in ihrem Innersten war Sophia überzeugt, dass es Moritz, dem starken, erfolgreichen Moritz, sehr schwerfallen würde, mit kranken, schwachen, angsterfüllten Patienten umzugehen.
Felix nickte. »Vielleicht hat es ja auch was
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