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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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an ihr rächen könnte. Vielleicht hatte sie auch einfach Angst davor, von der Schule zu fliegen.
    »Wovon redet ihr eigentlich?«, fragte Dario jetzt. »Wer ist denn diese Sarah?«
    »Ach, Schnee von gestern«, sagte Emily.
    Sophia überlegte einen Moment, ob sie ihm die Augen öffnen sollte. Aber dann hielt sie doch den Mund. Genau wie damals. Genau wie die anderen.
    Nachdem Sarah die Schule gewechselt hatte, hatte keine ihrer Klassenkameradinnen sie mehr erwähnt. Sie war für sie alle gestorben.
    Sophia war immer davon ausgegangen, dass den anderen die Sache genauso peinlich war. Doch so war es nicht, jedenfalls nicht bei Emily. Nachdem Sarah aus ihrem Blickfeld verschwunden war, hatte sie das Interesse an ihr verloren. Aber jetzt war es wieder erwacht.
    »Hast du die Mail dabei?«, bohrte sie. »Was will sie denn?«
    »Ist echt nicht so wichtig. Ich kann sie dir ja mal bei Gelegenheit zeigen.« Oder auch nicht. Sophia wandte sich zur Tür. »Also, ich geh dann mal. Ihr wolltet ja auch los …«
    »Wir wollen los? Was hast du denn noch vor, Emily?«, fragte Dario, der Einfaltspinsel.
    Sophia unterdrückte ein Grinsen. Emily unterdrückte einen Wutanfall, aber nicht mehr lange. Armer Dario. Sobald Sophia den Raum verlassen hatte, war er fällig.
    »Schönen Tag noch!« Sophia floh.
    Seltsam. Warum hatte Sarah nicht an Emily geschrieben? Es musste ihr doch klar sein, dass die sich damals die ganze Aktion ausgedacht hatte. Und nun wandte sie sich nur an Sophia! Vielleicht hatte die Mail ja auch gar nichts mit Sarah zu tun, überlegte Sophia. Vielleicht war sie für eine andere Person bestimmt und ist nur versehentlich in meinem Eingangsordner gelandet. Sophia beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken. Daraufhin fiel ihr prompt Felix wieder ein. Felix, der sich nicht mehr bei ihr gemeldet hatte, seit er sie gestern vor der Schule abgesetzt hatte. Felix, der sich auch morgen und übermorgen nicht mehr bei ihr melden würde. Weil er in einer ganz anderen Welt lebte als Sophia. In der Welt der Schönen, Angesagten, Coolen, Sportlichen, Erwachsenen.
    Sie dachte daran, wie er die Beule auf ihrer Stirn berührt hatte, ganz sanft und vorsichtig. Und bekam vor Verlangen eine Gänsehaut am ganzen Körper. Und weiche Knie. So weich, dass sie sich einen Moment lang an einen Laternenmast lehnen und die Augen schließen musste.
    Vor ihren geschlossenen Lidern sah sie sein schmales Gesicht, die dunklen Augen, die Grübchen neben seinem Mund, wenn er lachte. Wie er wohl küsste?
    Auf der Straße hupte ein Auto. Erschrocken riss sie die Augen wieder auf. Das Hupen hatte einem Fahrradfahrer gegolten, der vom Radweg auf die Fahrbahn geschossen war. Das Auto, das ihn fast angefahren hätte, stand direkt vor Sophia. Sie sah den aufgebrachten Fahrer, dessen Mund auf- und zuging und der mit den Händen gegen das Lenkrad trommelte. Aber weil die Scheiben geschlossen waren, hörte sie keinen Ton.
    Dann entdeckte sie Moritz. Er stand auf der anderen Straßenseite und starrte erschrocken in ihre Richtung. Unwillkürlich blickte sie sich um, ob hinter ihr vielleicht ein Mörder mit erhobener Axt stand. Aber da war niemand. Eine alte Frau mit einem Dackel an der Leine. Zwei Kinder, die auf den Bus warteten.
    »Alles okay, Moritz?«, rief Sophia.
    Aber ihr Bruder hörte sie nicht. Der Fahrzeuglärm auf der Straße war viel zu laut. Er bemerkte sie auch gar nicht, wurde ihr jetzt bewusst, er starrte an ihr vorbei ins Leere. Gruselig. Erst dieser Blackout beim mündlichen Abitur und nun sah er offensichtlich am helllichten Tag Gespenster.
    »Moritz!« Sie winkte mit beiden Armen. Aber ihr Bruder hatte sich schon abgewandt und ging weg, ohne sie zur Kenntnis zu nehmen.
    Egal. Wenn er sie gesehen hätte, hätte er ihr ja auch nicht erzählt, was mit ihm los war.
    Sie rannte über den Zebrastreifen, am Supermarkt vorbei, und wollte in ihre Straße einbiegen, blieb dann aber am Kiosk stehen. Aus dem Seitenfenster leuchtete ihr ein rotes Quadrat entgegen. Ritter Sport Marzipan. Ihre Lieblingssorte.
    »Nein«, murmelte Sophia. Vor knapp zwei Wochen hatte sie sich nämlich ein vierwöchiges Schokoladen-Moratorium auferlegt. Vier Wochen lang wollte sie keinen Riegel, keinen Bissen, keinen Krümel Schokolade zu sich nehmen. Das war grausam, aber angesichts ihres Übergewichts mehr als angebracht. Denn der erste Krümel einer Tafel Schokolade war ihr Verderben. Auf den ersten Krümel folgte ein Stück, dann ein ganzer Riegel und noch einer und noch

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