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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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»Kaffee«, sagte sie dann. »Ich brauch erst einen Kaffee. Dann erzähl ich dir’s.«
    Sie gingen nach unten in seine kleine dunkle Wohnung, in der sie sich seit dem Einbruch wohler und geborgener fühlte als in ihrer eigenen. Christian machte zwei Latte macchiato, dann setzten sie sich auf sein Sofa.
    »Schieß los.«
    Julie zog die Beine an den Körper und legte das Kinn auf ihre Knie. Am liebsten hätte sie einen Rückzieher gemacht. Sie hatte noch nie über diese Sache gesprochen. Nicht einmal ihre alten Freunde wussten Bescheid. Außer Valerie natürlich.
    »Komm schon«, sagte Christian. »Du wirst sehen, hinterher geht es dir besser.«
    Julie seufzte. »Valerie wollte immer Schauspielerin werden. Seit sie sechs oder sieben war, hat sie davon geredet. Sie hat auch immer Theater gespielt, in der Schule war sie in der Theater- AG und hat bei Musicalaufführungen mitgemacht. Später hat sie sogar im Jugendtheater mitgespielt. Sie war echt gut.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Zunge. »Oh Mann, ist der heiß!«
    »Weiter.«
    »Schon vor dem Abitur hat sie begonnen, sich bei verschiedenen Schauspielschulen zu bewerben. Sie wäre überallhin gegangen: München, Berlin, Stuttgart, Wien. Aber am allerliebsten hätte sie in Hamburg studiert.«
    Christian nickte.
    »Die Aufnahmeprüfung war Ende April«, fuhr Julie fort. »Und Valerie hat schon im Januar angefangen, sich darauf vorzubereiten. Ich glaube, sie hat mehr für dieses bescheuerte Vorsprechen geübt als fürs Abi. Irre!«
    »Und du? Hast du dich auch so lange vorbereitet?«, fragte Christian.
    »Ich hab mit ihr gelernt. Hab die Texte mit ihr geprobt, hab sie abgefragt. Gretchen und Faust. Valerie war Gretchen, ich war Faust. Ich kann die Szene heute noch auswendig.«
    »Du warst Faust«, wiederholte Christian nachdenklich. »Und als Faust hast du die Prüfer dann auch überzeugt.«
    Julie nickte. Sie starrte in ihren Latte macchiato, um Christian nicht ansehen zu müssen. Und spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, aber das lag nicht am Kaffee.
    »Valerie war total hysterisch«, erklärte sie leise. »Am Tag vor der Prüfung ist sie richtig ausgerastet. Ich kann das nicht, ich bring das nicht, ich mach mich absolut lächerlich. Und so. Die hätte das wirklich nicht geschafft. Wenn sie am nächsten Tag vor den Prüfern gestanden hätte, wär sie zusammengeklappt.«
    »Also bist du an ihrer Stelle hingegangen.«
    »Nur weil sie wollte, dass ich zur Schule fahre. Ich sollte Bescheid sagen, dass sie krank ist.« Julie zog eine Grimasse. »Als ob das da irgendjemanden interessiert, warum einer nicht antritt. Die haben neunhundert Bewerber und acht Plätze, da sind die doch froh über jeden, der nicht erscheint.«
    »Und dann?«, fragte Christian.
    »Und dann hab ich die anderen Bewerber gesehen. Wie sie da saßen und an ihren Nägeln kauten und auf ihren Auftritt gewartet haben. Und da dachte ich mir … ich dachte: Was die können, kann ich auch.«
    »Was die können, kannst du besser, hast du gedacht.«
    Julie nickte. »Und ich konnte es auch besser. Die Prüfer fanden meinen Shakespeare-Monolog eigenwillig und überzeugend. Und sie mochten, dass ich den Faust gespielt habe und nicht das Gretchen.«
    »Das Lied, das du gesungen hast«, sagte Christian. »Hast du das auch mit Valerie geübt?«
    »Nee. Sie hatte für die dritte Runde eine total langweilige Szene ausgesucht.« Und Valerie wäre auch gar nicht erst so weit gekommen, dachte Julie. Weil die Prüfer sie gleich nach dem Monolog rausgeschmissen hätten. Vielen Dank, das genügt. Warten Sie bitte draußen, wir geben unsere Entscheidung später bekannt.
    Valerie, da war sie sich ganz sicher, hätte nicht die Spur einer Chance gehabt. Im Schülertheater und bei den Jugendaufführungen war sie gut gewesen, aber um es auf die Schauspielschule zu schaffen, musste man nicht nur gut sein. Sondern außergewöhnlich. Wie Julie.
    »Ach so«, sagte Christian und trank seinen Kaffee in einem Zug aus, obwohl er so heiß war.
    »Jetzt bist du geschockt«, stellte Julie fest. »Aber es war nicht so, dass ich Valerie reinlegen wollte. Sie hat es hinterher so hingedreht, als ob ich sie verunsichert hätte. Weil ich von vornherein geplant hätte, an ihrer Stelle anzutreten. Aber das stimmt nicht. Es war eine spontane Idee.«
    »Aber wenn dir das passiert wäre«, sagte Christian. »Wenn Valerie das mit dir gemacht hätte, dann wärst du doch auch richtig sauer gewesen, oder?«
    »Na klar. Ich hätte

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