Morgenrötes Krieger
yos, der nicht mehr benutzt wurde. Wir empfanden gleich und hofften, zusammen bleiben zu können. Aber unsere Liebe war nicht sehr tiefgehend. Wohl kümmerte sich der eine um den anderen, so wie das bei zwei Liebenden üblich ist, aber jeder von uns hatte auch noch andere Liebhaber, die wir dem Brauch entsprechend nicht voreinander versteckten – zudem ist es eine Art Training, um nach der Verwebung der Eifersucht in einem yos vorzubeugen.
Die Schulzeit war inzwischen zu Ende gegangen. Wendyor wurde zu Hause gebraucht – jenseits der Berge. Ich machte mir keine Illusionen. Ich bin sicher, daß ich ihn niemals mehr in den Armen halten werde.“ Sie atmete schwer und tief.
Han erzählte ihr eine ähnliche Geschichte, eine von jenen Liebesabenteuern, bei deren Ende er damals geglaubt hatte, daß die Welt zusammenbrechen würde. Aber auch solche, die nur ein oberflächliches Vergnügen für ihn waren. Er mußte zugeben, daß er viel später damit angefangen hatte und daß er an ihre große Erfahrung auf diesem Gebiet nicht heranreichen konnte.
„Jetzt verstehe ich“, sagte Liszendir, „warum du so vorsichtig bist. Wir dagegen können nicht schwanger werden, es ist somit ein unbeschwertes Vergnügen; der Preis, den wir zahlen, besteht allein im emotionalen Engagement. Ihr aber seid eingeengt. Ein einziger falscher Schritt, und euer Leben wird euch aus der Hand genommen, stimmt’s?“
„Ja.“ Das war alles, was Han dazu sagen konnte.
„Dein Name hat in seiner Form starke Ähnlichkeit mit einem Ler-Namen. Es ist für mich leicht, dich ‚Han’ zu nennen – in anderer Hinsicht jedoch wiederum auch nicht. Dieser Einsilber erinnert stark an ein Kind, aber du selbst bist keineswegs kindlich in deiner Art. Das bringt mich in Verlegenheit.“
„Es wäre mehr als unehrlich, wenn ich nicht zugeben würde, daß ich dich trotz unserer Unterschiede äußerst begehrenswert finde“, sagte Han nach einigem Zögern.
Liszendir hatte ihre Mahlzeit beendet. Sie lehnte sich in den Stuhl zurück, streckte sich anmutig, wobei ihr Blick etwas Herausforderndes bekam. Im gedämpften Licht der Sterne und Instrumente war ihre Gestalt plötzlich von ausdrucksvoller Schönheit. Han konnte seine Gedanken nicht von dem glatten, haarlosen Körper unter der schlichten Bekleidung abwenden.
Mit sanfter Stimme, die er in dieser Art von ihr noch nicht vernommen hatte und die phantastisch zu diesem tiefgründig-liebreizenden Gesicht mit seinem weichen und hingebungsvollen Mund paßte, sagte sie: „Ja, ich weiß, und ich habe das gleiche für dich empfunden. Es macht mir Angst, denn ich weiß sehr gut, daß es rein körperlich möglich wäre; dennoch wird im allgemeinen davon abgeraten – zu Recht, da unsere Ausdauer in diesem Punkt von eurer stark verschieden ist: wir können es viele Male tun; deshalb ist es besser, wenn man es läßt, trotzdem – du bist ein recht attraktiver Mann, auch wenn du etwas zu sehr behaart bist.“ Sie lachte kurz auf, wurde dann aber sogleich wieder nachdenklich-kühl.
Nach längerem Schweigen sagte sie mit leiser Stimme: „Du darfst mich nicht berühren, wenn wir beide in einer solchen Stimmung sind. Unser Verlangen nach Vereinigung ist bis zur Unfruchtbarkeit sehr stark, stärker als bei euch. Ich habe seit längerem keine Liebe mehr gemacht, mein Bedürfnis ist sehr groß. Und wir beide, du und ich, sollten es lieber nicht versuchen, Han!“
Sie erhob sich und wandte sich zum Gehen. „Es ist Zeit für die Wachablösung. Ich werde noch meine Übungen machen und dann schlafen gehen.“
Als sie an der Tür stand und gerade den Raum verlassen wollte, meinte Han: „Noch eines – du hast mir nie erzählt, was dein Name bedeutet.“
Sie drehte sich überrascht um. „Du weißt nicht, was du da fragst. Aber es ist kein Geheimnis. Wortwörtlich bedeutet er ‚die samtdurchwebte Nacht’. Ein ‚Liszendir’ ist eine besondere Art von Himmel … so, wenn der Nachthimmel sehr klar ist und nur wenige feine Zirruswölkchen ihn bedecken … ein hauchdünner Schleier, angestrahlt vom Sternenlicht. Normalerweise ein Himmel wie im Winter, den wir nur ab und zu auch im Sommer haben.“
Han zuckte verblüfft mit den Achseln. „Gut, das ist wenigstens ein kleiner Fortschritt. Nun kennen wir uns ein wenig besser.“
Liszendir schaute ihn mit einem unergründlichen Blick an und machte eine abwehrende Bewegung. „Es gibt keinen Fortschritt. Es gibt nur stete Veränderung.“ Sie verschwand durch die
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