Morgenroetes Krieger
für den Namen seiner Stadt, der eigentlich gar kein richtiger Name war. Der Ler neben ihm, älter als er und kräftig gebaut, trug Haare, die zu einem einzigen Zopf geflochten waren. Er nannte sich Hath’ingar.
Hath’ingar fehlte jegliche Bescheidenheit. Sofort e r griff er das Wort: „Und entschuldigt den ganzen tlanh- und srith -Quatsch. Wir haben hier keine Zeit – besonders jetzt nicht –, uns wie zivilisierte Leute zu benehmen.“
Hilf blieb so lange bei ihnen, bis er erfahren hatte, wer sie waren und was sie vorhatten. Dann verabschiedete er sich und bat Hath’ingar, sich weiter um sie zu kümmern. Dieser klopfte Hilf vertraulich auf die Schulter und vers i cherte, daß er ruhig gehen könne. Dann wandte er sich wieder Han und Liszendir zu.
„Ich bin hier im Augenblick städtischer Abgeordneter. Davor war ich ein angesehener Farmer im Norden und habe Gemüse angebaut.“ Er zeigte seine kräftigen, schwieligen Hände. „Als man uns überfiel, wurde die Hauptstadt schwer getroffen; deshalb bin ich runterg e kommen, um zu sehen, was man tun könnte. Leider ist das, was wir bisher geschafft haben, noch immer nicht genug.“ Er deutete auf die wabernden Staubwolken. „Bei weitem nicht genug.“
Liszendir verharrte schweigsam, irritiert durch Hath’ingars ungehobeltes Verhalten, das zugleich gepaart war mit einigen merkwürdigen menschlichen Gewoh n heiten. Er dagegen schaute sie gierig und lüstern von der Seite her an – fast so unverhohlen wie mit dem G e sichtsausdruck eines Theaterschauspielers. „Ah, wenn ich doch nur dreißig Jahre jünger wäre! So ein junges, zivilisiertes Ler-Mädchen, reif wie eine Hagebutte und erfahren wie ein Professor der Erotikkunst! Und ständig unterwegs mit diesem jungen Primaten, eh?“ Er stieß sie rüde in die Seite. Aber sofort danach verfiel er wieder in seine vorherige uneindeutige Stimmung und Verhalten s weise: eine Mischung aus Müdigkeit und Melancholie. Seine Gestik zeigte die ganze Spannbreite möglicher B e deutungen, aber weder Han noch Liszendir wußten, ob sie das ausdrückten, was sie darin zu sehen glaubten.
„Nun gut, diese Schufte und glatzköpfigen Affen h a ben uns wenigstens eine Taverne gelassen.“ Er deutete an, ihm zu folgen, und führte sie zu einer schäbigen Bre t terbude, die den Anliegern offenbar als Bierkneipe die n te. Als sie in die kühle Dunkelheit hineinstolperten, e r klärte er ihnen, daß zu dieser Tageszeit die meisten Stammgäste noch nicht eingetrudelt seien. Der Boden des Etablissements bestand aus gestampftem Lehm und roch stark nach abgestandenem Bier. Liszendir, eigen wie sie war, zog sich ihre Stiefel wieder an, bevor sie sich ganz ins trübe Dämmerlicht des Innenraums wagte. Nachdem Hath’ingar sich einen einzigen Krug Bier hinter der Bar gesichert hatte, wo ein weibliches Menschenwesen g e räuschvoll mit eindringlichen Schnarchtönen ihr Mittag s schläfchen hielt, führte er sie zu einem halbwegs saub e ren Tisch in einer ungestörten Ecke und forderte sie auf, Platz zu nehmen. Dann nahm er einen kräftigen Schluck, prustete und setzte den Krug geräuschvoll wieder ab.
„Wir sind Händler, angeheuert von einer Gruppe auf Kenten “, begann Han. „Ich habe von eurer mißlichen Lage hier auf Chalcedon gehört und machte mich mit Liszendir sofort auf den Weg, nachdem ich bei Händler Efrem gekündigt hatte. Erinnerst du dich an ihn?“
„Oh ja. Efrem, dieser Schurke, ein verschlagener Be u telschneider und Geldraffer – soweit ich weiß. Er war fast genauso schlimm wie diese Schurken, aber dennoch haben wir ihn bei einigen Geschäften ausgetrickst und ihm so manche gute Ware abgeknöpft, bevor er sich wi e der aus dem Staube machte und sich in die Zivilisation absetzte.“
„Warum ist er abgereist? War Geld der Grund? Er e r zählte uns, daß er Chalcedon verlassen habe, um für all die Dinge eine Entschädigung zu bekommen, die er hier ohne Bezahlung zurückgelassen hat.“
„Solche Geschichten traue ich ihm zu – typisch für ihn. Nein, wir zahlten gutes Geld für alles, was wir ihm abgenommen haben: Platin, Thor und Gold! Es war – wenn du so willst – ein hartes, aber ehrliches Geschäft. Nein, wirklich nicht. Er machte sich davon, weil wir ihn hier für unseren Wiederaufbau einsetzen wollten. Ich wette, er hockt jetzt in irgendeinem lauschigen Kurort und gibt damit gewaltig an.“
„Nein, er ist tot. Jemand hat ihn am Tag unserer A b reise ermordet.“
Hath’ingar hob die Augenbrauen,
Weitere Kostenlose Bücher