Morgenroetes Krieger
die – soweit Han es beobachten konnte – vom Feuer versengt waren. „Ein Mord? Im Ernst? Hm. Tut mir leid, das zu hören. Er hat uns bestohlen, das hat er – wahr genug; aber selbst vor einem Kenten-Gericht hätte ich es nicht mit seinem L e ben aufgewogen.“ Er wandte sich plötzlich Liszendir zu. „Und du, meine Lady? Willst du nichts dazu sagen?“
Sie antwortete zurückhaltend, jedoch in einer Sprache, die in nichts dem ähnelte, was Han jemals zuvor gehört hatte. Eine der vielen Multi-Sprachformen, dachte er, als er den abgehackten Singsang hörte. Doch bevor er sich so richtig hineinhören konnte, hob der Stadtratsabgeor d nete in einer abwehrenden Bewegung seine Hand.
„Hör auf, nicht hier. Heute sprechen wir alle ohne Ausnahme auf Chalcedon die Allgemeinsprache.“ Er wirkte seltsam verwirrt. „Wir mußten alle miteinander tüchtig zupacken. Es gab eine Menge Mißtrauen. Imme r hin waren die Krieger Ler.“ Er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Ist ja möglich, daß sie sich unter die Arbeiter gemischt haben.“
Liszendir ergriff das Wort: „Ich wollte es mit eigenen Augen sehen. Ich hörte von dieser Reise, und weil ich eine nerh bin, war ich bei Eltern und Innenverwandten entbehrlich. Ich wollte das Handelsgewerbe erlernen und hatte kein besseres Angebot. Wir vermuten, daß Efrem wegen seines Geldes ermordet wurde.
Man hat dieses Geld nie gefunden. Wir …“, sie deutete auf Han, „… sind Partner auf Zeit. Ich bin zur Hälfte bete i ligt und hafte für unser Schiff.“ Han war erstaunt: also auch eine Lügnerin. Er wußte nicht genau, ob sie dieser selts a men Kreatur mißtraute oder ob sie bloß vorsichtig war.
Hath’ingar nahm noch einmal einen gewaltigen Schluck von dem sauren Bier und gab den Krug an Li s zendir weiter. Sie roch daran und nippte kurz. Plötzlich drehte sie sich zur Seite, nieste schnell mehrere Male hintereinander wie eine Katze und verzog das Gesicht. Dann reichte sie Han den Krug, der – durstig wie er war – mit großem Wohlbehagen zugriff und dankbar drau f losschluckte.
„Schön, schön“, meinte der füllige Lokalpolitiker. „Was wird uns hier draußen wohl als nächstes passieren? Werden ja sehen, wenn es soweit ist. War alles ganz a n ders, als ich noch ein junger Hirsch war.“ Er wurde ernst. „Aber erzählt doch weiter!“
Sie machten ihm klar, daß sie vor Abwicklung der G e schäfte zuerst einmal einen Platz zum Wohnen brauc h ten. Die Reise bis Chalcedon war lang gewesen, und sie hatten das Raumschiff einfach satt. Sie wußten, daß es wegen des Überfalls nur wenige intakte Unterkünfte gab; deshalb wollten sie sich mit dem bescheiden, was gerade zur Verfügung stand. Hath’ingar war einverstanden, e r hob sich und sagte, er wolle nachschauen, ob sich etwas auftreiben lasse. Sie saßen nun allein in der Bierkneipe, abgesehen von der schnarchenden Lady hinter der Bar; sie schwiegen, versunken in düsteren Gedanken.
Kurz darauf kam Hath’ingar zurück und schwenkte ostentativ einen Schlüssel, dessen dubiose Form kaum dazu geeignet schien, ein Türschloß zu verriegeln. I m merhin – ein Zimmer war ein Zimmer, und so verließen sie mit ihm ohne weiteren Protest oder Kommentar das Halbdunkel der ungastlichen Taverne.
Draußen hatte sich das Tageslicht gewandelt; lange Schatten kündeten von einer hereinbrechenden Nachmi t tagsstimmung. Zum ersten Mal seit ihrer Landung b e trachtete Han etwas genauer die fremde Welt um sich herum. Trotz der enormen Zerstörungen durch den Übe r fall erwies sich Chalcedon – oder zumindest dieser Teil hier – als ein angenehmes und hübsches Fleckchen Erde: ziemlich flach, ohne Hügel oder Berge, jedoch sanft g e wellt, mit einem klaren Himmel mit tiefblauer Färbung. Er teilte Liszendir seine Beobachtungen mit, die darau f hin zustimmend nickte. Ihr eigener Planet – Kenten – hatte ebenfalls keine ausgesprochen hohen Berge, dafür aber Hügelketten mit tief abfallenden Schluchten. Hath’ingar, der die Bemerkungen mitbekommen halle, spuckte große Töne und brüstete sich mit dem Charme und der Schönheit seines angeblichen Heimatplaneten.
„Ah ja, ihr seid begeistert von der herrlichen Nachmi t tagssonne, der Weite des Landes, der Ruhe und der A n mut der Federbäume.“ Er zeigte auf einen ungewöhnlich hohen und wirklich beeindruckend schönen Baum in der Nähe. Er hatte eine fast glatte weiße Rinde, herunterhä n gende Äste, mit Kaskaden glänzender, sichelförmiger
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