Morgenrot
dort, in seinem Exil, auf die Gelegenheit, in einem unbedachten Augenblick erneut sein Banner zu hissen.
Obgleich Lea spürte, wie sehr sich Adam nach Nähe und Verständnis sehnte, wandte sie sich wortlos ab. Sie brauchte einen Moment der Distanz, einen Fingerzeig, ob sie mit den Geschehnissen der letzten Stunden fertig werden würde.
Mit unsicheren Schritten durchquerte sie die Höhle. Sie ging vorbei an einigen Spalten - wie schwarze, aufgerissene Mäuler - in den Wänden und einem Feld aus mannshohen Felsbrocken, die sich zu einem gefährlichen Wall auftürmten. Dorthin drang das schwache Licht der Scheinwerfer kaum, so dass nur einige gezackte Vorsprünge hervorstachen, während der Rest in bedrohlicher Dunkelheit lag. Schmale Wasserrinnsale bahnten sich einen Weg zwischen lockerem Geröll und Felsspalten und verschwanden wieder im rissigen Boden.
Unbegehbares, unheilvolles Gelände,Treibsand durchsetzt mit Pfählen.
Schließlich fand Lea eine Einbuchtung im Stein und setzte sich erschöpft darauf nieder. Die Beine dicht an den Körper gezogen, legte sie den Kopf auf die Knie. Mit jedem Moment wurde ihr kälter. Die abgestandene Luft, die mit einer Spur von Mineralien durchzogen war, blieb auf ihrer Haut liegen und machte die Kleidung schwer.
Während sich ihre Augen nach und nach an die Dunkelheit gewöhnten, tastete sie ihr Innerstes ab, als wäre es ein Krug, der zu Boden gefallenwar. Überrascht stellte sie fest, dass die Sprünge nicht so tief waren wie befürchtet. Offensichtlich war der Keil, den der Dämon und Adams Entschluss, Megan zu töten, zwischen sie getrieben hatte, nicht kraftvoll genug gewesen, damit sie sich endgültig von ihm trennte.
Plötzlich zeichnete sich Adams Silhouette in der Dunkelheit ab. Lautlos war er über das Geröll gestiegen. Lea zuckte zusammen, sie fühlte sich einer weiteren Auseinandersetzung nicht gewachsen. Als er noch einen Schritt auf sie zutrat, gewann sein Gesicht an Konturen. Immer noch zeichneten sich dort seine Wut, die ihn aufzufressen drohte, und sein Bedürfnis, ihr nahe zu sein, ab.
Bevor Lea schwach werden konnte, ging sie lieber zum Angriff über: »Es wird nichts an unserer Situation ändern, wenn du Megan tötest.«
»Nein, wirklich nicht? Ich glaube, du übersiehst etwas: Du hast den Kollektor gesehen, ihm rennt schlicht und ergreifend die Zeit davon. Du trägst zwar die Lösung für sein Problem in dir, aber mit Akinoras Vernichtung ist es unmöglich geworden, dir dein Geheimnis rasch zu entreißen. Eigentlich bist du für ihn genauso nutzlos wie Megan. Warum hätte er dich sonst mit mir zusammen hier unten eingesperrt? Jäger und Beute - Tiger und Kätzchen.«
»Das verstehe ich nicht...«
Adam lachte hart, die Arme vor der Brust verschränkt, als könne er sich auf diese Art davor schützen, zu zerfallen. »Tatsächlich nicht? Er weiß, dass ich ihm hier unten über kurz oder lang eine aufregende Show liefern werde. Der Dämon sehnt sich nach Blut, und er sehnt sich danach, in dich einzudringen. Du hast doch gerade eben erst eine Kostprobe von seiner Macht bekommen. Wie lange werde ich ihm Widerstand leisten können? Und wenn ich dann zusammenbreche, wie werde ich mich dann entscheiden: Werde ich den Kelch zu Ende trinken, oder werde ich einen Samen in dich pflanzen? Ich weiß nicht, was schlimmer für mich wäre ... Das Opfer, das Megan für ihren Verrat bringen muss, könnte eine Art Schonfrist für dich bedeuten.«
»Warum sagst du könnte?«
Adams Brauen zogen sich kummervoll zusammen, ehe er dicht vor sie trat. »Blut zu trinken, das durch einen pulsierenden Körper jagt, ist immer auch ein Gottesdienst zu Füßen des Dämons. Man opfert ihm, singt sein Lied. Man macht sich zu seinem Altar, von dem aus er sich in seiner ganzen Herrlichkeit feiern kann. Unsterblich, unzerstörbar. Normalerweise verweigere ich diesen Dienst...«
Er hielt inne, dann streckte er zögernd eine Hand aus. Sanft fuhren seine Fingerspitzen Leas Wange entlang und strichen über ihre Lippen. Doch schon einen Augenblick später zog er die Hand zurück und sah ihr kalt in die Augen, bis sie den Blick senkte. »Ich werde Megan töten, Lea.Was danach passiert, kann ich dir nicht sagen.«
25. Ein tiefes Rot
»Fütterungszeit!«
»Hallo, Adalbert«, sagte Adam, ohne den Blick von Leas erschüttertem Gesicht zu nehmen.
»Hör zu, mein Freund«, kommandierte Adalbert lautstark herum, der soeben mit Megan den Vorsprung betreten hatte. Der Kollektor nahm bereits
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