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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Rose mal turteln sieht», meinte Großtante Marigold. «Ich finde es schön, wenn junge Leute glücklich sind.»
     
    Zu ihrer großen Freude kam er am folgenden Morgen im Lehrerzimmer auf sie zu. Er lächelte sogar: «Warum hast du mir nichts davon erzählt?» fragte er mit der freundlichsten Stimme.
    «Wovon, Bobs?»
    «Daß du so eine pfundige Schwester hast.»
    «Ach so, Becky. Ja, sie ist sehr hübsch, nicht wahr?»
    «Kann man wohl sagen. Dein alter Herr ist auch sehr nett. Komisch, dabei hatte ich vor, als er anfangs so loslegte, ihm richtig die Meinung zu sagen.»
    «Ich habe eigentlich wenig von dir gehabt, Bobs», sagte Rose ganz ruhig.
    «Das macht nichts», erwiderte er abwesend, während er die kleine Miss Jones beobachtete, die sich nach einem Buch bückte.
    «Du mußt unbedingt wiederkommen», sagte sie, bemüht, ihren Kummer nicht durch ihre Stimme zu verraten.
    «Klar, unbedingt», antwortete er mit mehr Enthusiasmus, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Aber was ging davon auf ihr Konto und was auf Beckys? Gequält dachte sie, daß sie auf diese Frage vermutlich nie eine Antwort finden würde.
     

4
     
    November, Totenmonat, Allerheiligen, Allerseelen; Nebelschwaden, die wie ruhelose Geister der Verstorbenen über die Felder wallten; der hoch angeschwollene Fluß war mit gelben Blättern übersät, sickerte in morastigen Pfützen bis in die sumpfigen Wiesen; die Buchen flammten an einem Tag wie ein Freudenfeuer und standen am nächsten leblos, tot und klamm. Der Hof war voller Schlamm und brauner Pfützen, und das Gesträuch ließ trauernd Blätter und Regentropfen fallen; die Luft war weich und feucht, und die Kiefernschonung duftete süß; die frühe Dämmerung umhüllte die Hügel; auf der Terrasse lagen Gummistiefel und Plastikregenmäntel herum.
    Gaylord stampfte mit seinen Gummistiefeln durch jede Pfütze, die er nur finden konnte. Zunächst hatte er beim Herumwandern die Fischerhütte, die Willies Schatz barg, nur aus der Ferne gesehen, doch allmählich zog er seine Kreise immer enger.
    Die Hütte zog ihn wie ein Magnet an. Er könnte ja mal hineingehen und einen Blick drauf werfen. Aber nein. Die Hütte war Willies Reich. Ohne Willie konnte er nicht hineingehen.
    Doch eines Tages fand er sich plötzlich, fast gegen seinen Willen, auf ihrer Schwelle. Wie er dahin gekommen war, wußte er selbst nicht.
    Verlassen lag die weite Landschaft da. Er ging hinein.
    Seit jenem Tag hatte sich die Hütte nicht verändert. Gaylords Blick suchte sofort den Ofenrost. Das Nest aus Blättern und Gras war noch da.
    Ein Blick konnte nichts schaden. Er hob den Grasbelag ab und geriet in Verzückung. Es war sogar noch schöner als in seiner Erinnerung. Das Rathaus von Leeds schimmerte in einem Licht, das es weder zu Wasser noch zu Lande gab. Mit der gleichen Ehrfurcht, als wären es die Kronjuwelen, nahm er es in die Hand. Während er es berührte, es umschloß und in seine klare, durchsichtige Tiefe blickte, erfüllte ihn ein Staunen, das wohl nur ein Kind, ein Dichter oder vielleicht ein Irrer empfinden kann. Er stand da, liebkoste seinen Schatz und vergaß den alten Tyrannen, die Zeit, wie es nur ein Kind fertigbringt. Der Gedanke, daß er diesen Schatz in seinem Zimmer haben, vor dem Schlafengehen und beim Erwachen damit spielen könnte, erfüllte ihn ganz. Willie würde nie erfahren, wer ihn fortgenommen hatte. Und Willie konnte sowieso nichts ausrichten, er hatte ja nicht alle Tassen im Schrank.
    Zum erstenmal in seinem Leben kämpfte Gaylord einen harten Kampf mit der Versuchung. Und siegte. Ohne zu wissen, warum. Aber irgendein tief verwurzeltes Empfinden für Recht und Unrecht kam ihm dabei zu Hilfe. Er bettete den kostbaren, betörenden Gegenstand wieder in sein Nest und ging, mit einem Gefühl der Einsamkeit und des Verlustes, nach Hause.
     
    Der Winter schleppte sich weiter. Überall in den Städten und Städtchen Englands legten ältere ehrbare Herren (natürlich nur nüchterne und kinderliebe) weiße Bärte und rote Mäntel an und bezogen in den Warenhäusern ihre Posten. Die Hersteller von Weihnachtskarten hielten für die Intellektuellen die Anbetung der Hirten, für die alten Tanten Rotkehlchen auf Baumästen und für die rosawangigen, gintrinkenden Ex-Militärs gräßlichen, goldglitzernden Kitsch bereit. Außerdem wurden von so vielen Wohltätigkeitsvereinen eigene Karten verkauft, daß man annehmen mußte, es sei bald eine weitere Wohltätigkeitsorganisation fällig: Die Gesellschaft zur

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