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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Unterstützung der notleidenden Weihnachtskartenhersteller. Auf den Ladentischen von sonst ganz nüchternen Geschäften traten scheußliche, abstoßende Neuheiten wie ein bösartiger Fieberausschlag zutage. Vom Koffer bis zum Teekessel verwandelte sich einfach alles in Weihnachtsgeschenke. Die Schaufenster kleiner, schmuddeliger Nebenstraßenläden waren mit Girlanden aus Baumwollbällchen geschmückt. In den Geflügelläden hingen, den Opfertod gestorben, stolz, fett und sauber gerupft, die Puten, Gänse und Hühner zu Hunderten. Das christliche England bereitete sich wieder einmal darauf vor, am Weihnachtsfest Millionen zu verdienen.
    Mummi hatte den leichteren Teil des Unternehmens Weihnachtskarten bereits absolviert. Mit anderen Worten, sie hatte fünfzig Karten gekauft und siebenundvierzig davon adressiert, mit Marken versehen und abgeschickt. Der schwierigere Teil stand noch bevor: Paps mußte sanft überredet oder brutal dazu gezwungen werden, die restlichen drei Karten zu schreiben: die eine an eine ältliche Tante und die anderen beiden an zwei Kriegskameraden, die Paps hartnäckigerweise nicht vergessen wollte, um die er sich aber sonst nie kümmerte. Lieber würde Paps eine ganze Kurzgeschichte schreiben als eine Weihnachtskarte. Er fand das unschöpferisch.
    Die Plumpuddings waren fertig. Schuldbewußt umhätschelte die ganze Familie den Truthahn Abdullah, was dieses Tier mit gleichgültiger Verachtung über sich ergehen ließ.
    Paps fragte Mummi: «Was wünscht sich wohl Gaylord zu Weihnachten?»
    Mummi blickte Paps einigermaßen überrascht an. Daß Paps im Zusammenhang mit Weihnachten die Initiative ergriff, war überhaupt noch nicht dagewesen. «Was hast du dir denn vorgestellt?» fragte sie.
    «Eine elektrische Eisenbahn», erklärte Paps.
    «Ich werde ihn fragen», sagte Mummi. «Aber du kennst Gaylord ja. Er wünscht sich bestimmt etwas ganz Ausgefallenes.»
    Paps machte ein trauriges Gesicht und sagte: «Meine Eisenbahn bestand aus einer kleinen Lokomotive zum Aufziehen, die so schnell über die Schienen raste, daß sie nie mehr als eine Runde schaffte. Dann flog sie regelmäßig aus der Kurve, lag wie ein dicker Käfer auf dem Rücken und strampelte im Leerlauf.»
    «Armer Jocelyn», sagte Mummi.
    «Ich beschloß daher, zu heiraten und Kinder zu bekommen, in der Hoffnung, einen Sohn zu kriegen, dem ich dann eine elektrische Eisenbahn schenken könnte.»
    «Aha! Ich habe mich schon immer gefragt, warum du überhaupt geheiratet hast», sagte Mummi. «Eigentlich bist du doch gar nicht der Typ dafür.»
    «Das war ein langwieriger Plan, aber jetzt ist die Zeit reif.»
    «Häng dein Herz nicht zu sehr daran», mahnte Mummi. «Du hast deine Rechnung ohne Gaylord gemacht.»
    Sie sah, wie recht sie hatte, als sie Gaylord fragte: «Was möchtest du denn vom Weihnachtsmann haben?»
    «Einen Briefbeschwerer», sagte Gaylord wie aus der Pistole geschossen.
    Erst einmal herrschte Stille.
    «Einen was, bitte?» fragte Mummi.
    «Einen Briefbeschwerer.»
    Mummis Stimme klang gefaßt. «Was denn für einen Briefbeschwerer?»
    «Na, eben einen Briefbeschwerer», sagte Gaylord.
    «Paps dachte, du hättest vielleicht gern eine elektrische Eisenbahn.»
    Gaylord überlegte. «Ich möchte lieber einen Briefbeschwerer», sagte er schließlich.
    Sie ging zurück zu Paps. «Sagte ich dir nicht, daß sich Gaylord etwas ganz Ausgefallenes wünschen würde?»
    Paps machte ein unglückliches Gesicht. «Schieß los», sagte er.
    «Rat mal, wie ausgefallen», sagte Mummi.
    Paps dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. «Dazu reicht meine Phantasie nicht aus.»
    «Einen Briefbeschwerer», sagte Mummi.
    Drückendes Schweigen. «Die ganzen Jahre über», sagte Paps schließlich. «Gewartet. Geplant. Und dann will der Bengel einen Briefbeschwerer.» Plötzlich hieb er beide Fäuste auf den Schreibtisch. «Verdammt noch mal, er bekommt eine elektrische Eisenbahn, und damit hat sich’s.»
    «Er wird sie nicht mal auspacken», sagte Mummi. «Nicht, wie ich Gaylord kenne.»
    In einem Antiquitätengeschäft in der Stadt fanden sie einen Briefbeschwerer. Einen schmiedeeisernen Hirsch, von widerlich schmuddeliger brauner Farbe, und als Paps ihn zum Auto trug, hatte er das Gefühl, mindestens einen halben Zentner zu schleppen. «Wenn du mich fragst - das hält der beste Geschenkstrumpf nicht aus», sagte er. «Für den brauchen wir schon eine Art Drahtkorb.» Da er sich mehr als sonst deprimiert fühlte, wollte er die ganze Geschichte

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