Morgenstadt - wie wir morgen leben
können Forscher natürlich nicht hellsehen. Sie können jedoch Wege aufzeigen, Trends abschätzen, Optionen anbieten. Im Vordergrund aller Maßnahmen für eine lebenswerte Stadt der Zukunft muss der Mensch stehen: seine Zuversicht, seine Teilhabe und vor allem sein Wohlbefinden. Darauf ist auch die Arbeit der Fraunhofer-Institute ausgelegt.
„Die Lebenskraft eines Zeitalters liegt nicht in seiner Ernte, sondern in seiner Aussaat“, wie Ludwig Börne, deutscher politischer Schriftsteller und Kritiker, sagte. Professor Dieter Spath, Institutsleiter am IAO, meint dazu: „Wir brauchen gemeinsame Zielsetzungen, Leitbilder und Wertvorstellungen, wie die Städte, in denen wir morgen leben und arbeiten werden, aussehen werden – das heißt, wir müssen alle technologischen, organisatorischen und bedarfsbezogenen Faktoren, die in Städten morgen eine Rolle spielen, erforschen und daraus langfristige Handlungsmaximen für die Umwandlung heutiger Städte in Morgenstädte ableiten.“
So soll dieses Buch eine Orientierung sein für alle, die sich auf den Weg machen wollen, die Zukunft unserer Städte lebenswert und nachhaltig zu gestalten – damit die Morgenstadt zur Heutestadt wird.
KAPITEL 1
ENERGIE
Der Blick aus der Peak Lounge des Park Hyatt Tokyo Hotels im 48. Stock war berauschend. In dem von Stararchitekt Kenzo Tange entworfenen Wolkenkratzer aus Stahl und Glas liegt dem Besucher Tokio zu Füßen: ein Lichtermeer, das die Augen beinahe blendete. Rund um den Bahnhof Shibuya wetteiferten die Straßen mit ihren Lichtreklamen darum, wer mehr Menschen anzieht. Seit der Katastrophe von Fukushima hat sich das geändert: Die Beleuchtung ist nun spärlicher geworden, der fast aufdringliche Neonglanz früherer Jahre ist verblasst. Tokio spart Strom. Vielleicht ein erster Schritt zu einer nachhaltigeren Energieversorgung in Japan?
Seoul hat rund 10 Millionen Einwohner, das 9000 Kilometer entfernte Freiburg im Breisgau nur knapp 225000 – im Vergleich zur südkoreanischen Hauptstadt ist es also ein Zwerg. Umso erstaunter war der Freiburger Oberbürgermeister Dr. Dieter Salomon im Jahr 2009, als er zufällig erfuhr, dass sich sein Amtskollege Oh Se Hoon aus Seoul zusammen mit 15 Fachleuten und Journalisten sowie drei Fernsehteams für mehrere Tage im Colombi, dem besten Hotel Freiburgs, eingemietet hatte, weil er mal aus nächster Nähe anschauen wollte, wie eine ökologisch vorbildliche Stadt funktioniert. „Ich lud meinen Amtskollegen natürlich zum Essen ein, und so entstand eine enge Partnerschaft zwischen unseren beiden Städten“, erzählt Salomon. Durch die Fernsehberichte über die Reise und einige Interviews, die er den fernöstlichen Sendern geben musste, verbreitete sich der Ruhm Freiburgs schnell in Korea. „Heute kennt uns dort jeder“, freut sich der OB.
Beide Amtsträger engagieren sich für den ökologischen Umbau der Städte – Salomon als Politiker der Grünen, Oh lange Zeit als Ökoanwalt und Mitglied einer Umweltinitiative. Als der Freiburger Oberbürgermeister einige Zeit später der Einladung seines Amtskollegen nach Seoul folgte, wurde man sich schnell einig, dass das gemeinsame Ziel auch einen praktischen Ausdruck finden sollte. So verabredeten die beiden Stadtväter unter anderem ein ambitioniertes Projekt: Experten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg sollten in der südkoreanischen Hauptstadt ein Ausstellungszentrum für erneuerbare Energien planen und bauen. 18 Millionen Dollar würde das Vorhaben kosten und den Bürgern demonstrieren, dass ein Gebäude genauso viel Energie erzeugen kann, wie es verbraucht.
Inzwischen ist der Rohbau des strahlend weißen Bauwerks zwischen World-Cup-Stadion und Han-Fluss fertiggestellt, auch wenn Oh Se Hoon selbst gar nicht mehr im Amt ist. Er hatte im August 2011 nach einem gescheiterten Bürgerentscheid den Rücktritt erklärt. Sein Energieprojekt geht jedoch weiter: In dem parkartigen Areal sind koreanische Handwerker mittlerweile dabei, die Glasscheiben in die Fassaden des „kristallinen Baus“ einzufügen. So beschreibt Arnulf Dinkel vom ISE das Gebäude, dessen Planung und Ausführung er und seine Kollegen von Anfang an überwacht haben. Ein technologisches Wahrzeichen soll hier entstehen. Deshalb war ein auffallendes und hochwertiges ästhetisches Erscheinungsbild wichtig.
EIN VORBILD FÜR ENERGIEEFFIZIENTES BAUEN
In diesem Ausstellungszentrum will die Stadtregierung ihre ehrgeizigen Energiesparziele unters Volk
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